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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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mit dem Prediger in L -- sagen. Wie kam
es aber, daß der Graf Glück wünschte? Und
wie kam es, daß ich den Glückwunsch als
Glückwunsch entgegen nahm? Wir Menschen
sind wunderbare Geschöpfe! -- Es war mir
so, als ob ich Minens wegen schon würklich
gestorben gewesen, und nun, nachdem ich ihr
mein Gelübde bezahlet, wieder auferstehen
könnte. -- Ach! diese Seelenkrankheit, so
hat sie nicht mehr mich übermannt; allein wie
oft hieß es von mir: Siehe, um Trost war
mir bange! Wie oft blüheten die Linden für
mich! -- Auch heute! da ich dieses schreibe,
war ich in meiner Kammer, hatte die Thür
nach mir zugeschloßen und mich verborgen,
um --

Wenn ich wüste, daß eins von meinen Le-
sern über das, was Sitte beym Grafen war,
seelenkrank werden könnte, wie bey mir dieser
Fall eintrat, obgleich sie nicht sehen, sondern
nur lesen, ich würde hier schlüßen, ohne ein
einziges Wort weiter zu verlieren -- nicht
wahr, verlieren? Kommen meine respektive
Leser und Leserinnen aber mit einem einsamen
Stündchen mit einem kalten Badestündchen
ab -- was hats zu sagen? wir haben doch
all ein langes kaltes Bad im Grabe vor, und

wahr-

mit dem Prediger in L — ſagen. Wie kam
es aber, daß der Graf Gluͤck wuͤnſchte? Und
wie kam es, daß ich den Gluͤckwunſch als
Gluͤckwunſch entgegen nahm? Wir Menſchen
ſind wunderbare Geſchoͤpfe! — Es war mir
ſo, als ob ich Minens wegen ſchon wuͤrklich
geſtorben geweſen, und nun, nachdem ich ihr
mein Geluͤbde bezahlet, wieder auferſtehen
koͤnnte. — Ach! dieſe Seelenkrankheit, ſo
hat ſie nicht mehr mich uͤbermannt; allein wie
oft hieß es von mir: Siehe, um Troſt war
mir bange! Wie oft bluͤheten die Linden fuͤr
mich! — Auch heute! da ich dieſes ſchreibe,
war ich in meiner Kammer, hatte die Thuͤr
nach mir zugeſchloßen und mich verborgen,
um —

Wenn ich wuͤſte, daß eins von meinen Le-
ſern uͤber das, was Sitte beym Grafen war,
ſeelenkrank werden koͤnnte, wie bey mir dieſer
Fall eintrat, obgleich ſie nicht ſehen, ſondern
nur leſen, ich wuͤrde hier ſchluͤßen, ohne ein
einziges Wort weiter zu verlieren — nicht
wahr, verlieren? Kommen meine reſpektive
Leſer und Leſerinnen aber mit einem einſamen
Stuͤndchen mit einem kalten Badeſtuͤndchen
ab — was hats zu ſagen? wir haben doch
all ein langes kaltes Bad im Grabe vor, und

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[155/0161] mit dem Prediger in L — ſagen. Wie kam es aber, daß der Graf Gluͤck wuͤnſchte? Und wie kam es, daß ich den Gluͤckwunſch als Gluͤckwunſch entgegen nahm? Wir Menſchen ſind wunderbare Geſchoͤpfe! — Es war mir ſo, als ob ich Minens wegen ſchon wuͤrklich geſtorben geweſen, und nun, nachdem ich ihr mein Geluͤbde bezahlet, wieder auferſtehen koͤnnte. — Ach! dieſe Seelenkrankheit, ſo hat ſie nicht mehr mich uͤbermannt; allein wie oft hieß es von mir: Siehe, um Troſt war mir bange! Wie oft bluͤheten die Linden fuͤr mich! — Auch heute! da ich dieſes ſchreibe, war ich in meiner Kammer, hatte die Thuͤr nach mir zugeſchloßen und mich verborgen, um — Wenn ich wuͤſte, daß eins von meinen Le- ſern uͤber das, was Sitte beym Grafen war, ſeelenkrank werden koͤnnte, wie bey mir dieſer Fall eintrat, obgleich ſie nicht ſehen, ſondern nur leſen, ich wuͤrde hier ſchluͤßen, ohne ein einziges Wort weiter zu verlieren — nicht wahr, verlieren? Kommen meine reſpektive Leſer und Leſerinnen aber mit einem einſamen Stuͤndchen mit einem kalten Badeſtuͤndchen ab — was hats zu ſagen? wir haben doch all ein langes kaltes Bad im Grabe vor, und wahr-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/161>, abgerufen am 23.11.2024.