Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

erwies, und schüttelte also, es mochte Gefahr
seyn oder nicht. Bey einem Manne, wie der
Graf, und bey Krankenlägern, die von la-
chenden Erben umgeben sind, haben die Her-
ren Safts immer gewonnen Spiel, es stehe
oder falle.

Der Prediger aus L --, der die Linden-
krankheiten aus Erfahrungen kannte, hatte
völlig recht, daß diesen Ober- und Untersafts
meine Krankheit zu hoch wäre. Freylich steckt
eine kranke Seele den gesundesten Leib an,
alle Seelenkrankheiten sind ansteckend; allein
es war Lebensekel, Lebenskummer -- Ue-
berdruß, was mich ergriffen hatte. All die
Gebeinhäuser, in die ich herumgeleitet wor-
den, hatten meine Einbildungskraft so erhitzt,
daß ich würklich nicht todtkrank war, nicht
gefährlich krank -- aber beydes zu seyn herz-
inniglich wünschte. O Gott! wie sehnte ich
mich nach einem selgen Ende! Wie nach Mi-
nen! Sie war der Mittelpunkt von allem.
Ich suchte meinen Tod überall, auf allen und
jeden Gesichtern, und wo ich ein Todeswort
fand, wie sehr drückt' ichs ans Herz! Ich
war eigentlich nicht krank; allein ich wünscht'
es zu werden. Eine der gefährlichsten Ge-
müthskrankheiten, wenn es nicht im Apostel-

sinn
K

erwies, und ſchuͤttelte alſo, es mochte Gefahr
ſeyn oder nicht. Bey einem Manne, wie der
Graf, und bey Krankenlaͤgern, die von la-
chenden Erben umgeben ſind, haben die Her-
ren Safts immer gewonnen Spiel, es ſtehe
oder falle.

Der Prediger aus L —, der die Linden-
krankheiten aus Erfahrungen kannte, hatte
voͤllig recht, daß dieſen Ober- und Unterſafts
meine Krankheit zu hoch waͤre. Freylich ſteckt
eine kranke Seele den geſundeſten Leib an,
alle Seelenkrankheiten ſind anſteckend; allein
es war Lebensekel, Lebenskummer — Ue-
berdruß, was mich ergriffen hatte. All die
Gebeinhaͤuſer, in die ich herumgeleitet wor-
den, hatten meine Einbildungskraft ſo erhitzt,
daß ich wuͤrklich nicht todtkrank war, nicht
gefaͤhrlich krank — aber beydes zu ſeyn herz-
inniglich wuͤnſchte. O Gott! wie ſehnte ich
mich nach einem ſelgen Ende! Wie nach Mi-
nen! Sie war der Mittelpunkt von allem.
Ich ſuchte meinen Tod uͤberall, auf allen und
jeden Geſichtern, und wo ich ein Todeswort
fand, wie ſehr druͤckt’ ichs ans Herz! Ich
war eigentlich nicht krank; allein ich wuͤnſcht’
es zu werden. Eine der gefaͤhrlichſten Ge-
muͤthskrankheiten, wenn es nicht im Apoſtel-

ſinn
K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="145"/>
erwies, und &#x017F;chu&#x0364;ttelte al&#x017F;o, es mochte Gefahr<lb/>
&#x017F;eyn oder nicht. Bey einem Manne, wie der<lb/>
Graf, und bey Krankenla&#x0364;gern, die von la-<lb/>
chenden Erben umgeben &#x017F;ind, haben die Her-<lb/>
ren Safts immer gewonnen Spiel, es &#x017F;tehe<lb/>
oder falle.</p><lb/>
        <p>Der Prediger aus L &#x2014;, der die Linden-<lb/>
krankheiten aus Erfahrungen kannte, hatte<lb/>
vo&#x0364;llig recht, daß die&#x017F;en Ober- und Unter&#x017F;afts<lb/>
meine Krankheit zu hoch wa&#x0364;re. Freylich &#x017F;teckt<lb/>
eine kranke Seele den ge&#x017F;unde&#x017F;ten Leib an,<lb/>
alle Seelenkrankheiten &#x017F;ind an&#x017F;teckend; allein<lb/>
es war Lebensekel, Lebenskummer &#x2014; Ue-<lb/>
berdruß, was mich ergriffen hatte. All die<lb/>
Gebeinha&#x0364;u&#x017F;er, in die ich herumgeleitet wor-<lb/>
den, hatten meine Einbildungskraft &#x017F;o erhitzt,<lb/>
daß ich wu&#x0364;rklich nicht todtkrank war, nicht<lb/>
gefa&#x0364;hrlich krank &#x2014; aber beydes zu &#x017F;eyn herz-<lb/>
inniglich wu&#x0364;n&#x017F;chte. O Gott! wie &#x017F;ehnte ich<lb/>
mich nach einem &#x017F;elgen Ende! Wie nach Mi-<lb/>
nen! Sie war der Mittelpunkt von allem.<lb/>
Ich &#x017F;uchte meinen Tod u&#x0364;berall, auf allen und<lb/>
jeden Ge&#x017F;ichtern, und wo ich ein Todeswort<lb/>
fand, wie &#x017F;ehr dru&#x0364;ckt&#x2019; ichs ans Herz! Ich<lb/>
war eigentlich nicht krank; allein ich wu&#x0364;n&#x017F;cht&#x2019;<lb/>
es zu werden. Eine der gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten Ge-<lb/>
mu&#x0364;thskrankheiten, wenn es nicht im Apo&#x017F;tel-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;inn</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0151] erwies, und ſchuͤttelte alſo, es mochte Gefahr ſeyn oder nicht. Bey einem Manne, wie der Graf, und bey Krankenlaͤgern, die von la- chenden Erben umgeben ſind, haben die Her- ren Safts immer gewonnen Spiel, es ſtehe oder falle. Der Prediger aus L —, der die Linden- krankheiten aus Erfahrungen kannte, hatte voͤllig recht, daß dieſen Ober- und Unterſafts meine Krankheit zu hoch waͤre. Freylich ſteckt eine kranke Seele den geſundeſten Leib an, alle Seelenkrankheiten ſind anſteckend; allein es war Lebensekel, Lebenskummer — Ue- berdruß, was mich ergriffen hatte. All die Gebeinhaͤuſer, in die ich herumgeleitet wor- den, hatten meine Einbildungskraft ſo erhitzt, daß ich wuͤrklich nicht todtkrank war, nicht gefaͤhrlich krank — aber beydes zu ſeyn herz- inniglich wuͤnſchte. O Gott! wie ſehnte ich mich nach einem ſelgen Ende! Wie nach Mi- nen! Sie war der Mittelpunkt von allem. Ich ſuchte meinen Tod uͤberall, auf allen und jeden Geſichtern, und wo ich ein Todeswort fand, wie ſehr druͤckt’ ichs ans Herz! Ich war eigentlich nicht krank; allein ich wuͤnſcht’ es zu werden. Eine der gefaͤhrlichſten Ge- muͤthskrankheiten, wenn es nicht im Apoſtel- ſinn K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/151
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/151>, abgerufen am 04.05.2024.