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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Todtenliste eingetragen ward, welche der Graf
das Himmelsbürgerbuch nannte. So kam
ich wieder ums Geläute, wornach ich doch
so lüstern war.

Herr, laß ihn noch diese Nacht! diesen
Tag, noch drey Tage, sagte der Prediger mit
andern Worten zum Grafen, die sich der Graf
oft wiederhohlen lies, eh' er diese Frist be-
willigte. Herr, laß ihn noch, war der Mor-
gengruß des Predigers, denn ich hatte eine
elende, lange, lange Nacht gehabt, und der
Tag war, wie sie. --

Der Graf declamirte für, der Prediger
wider den Tod. Jener mit erhabner Stim-
me, dieser mit leiser Schmerztheilnehmender.
Nie vergeß ich die gräflichen Worte: Stirbt
man denn an der Krankheit, Freund? Vom
Leben stirbt man, und wenn unser Liebling
(ich lieb' ihn wie Sie) wenn er gesund wird,
entfloh er dem Tode? nein, nur der Krank-
heit. Allen? Nein, dieser. -- Eine große
Sache!

Der Graf hielte drey Safts bey seinen
Kranken, die Untersafts, die Aderbinder und
Pulsbeschleicher ungerechnet. Der Arzt, der
mich besuchte, wußte, daß er dem Grafen mit
einem heimlichen Kopfschütteln einen Gefallen

erwies,

Todtenliſte eingetragen ward, welche der Graf
das Himmelsbuͤrgerbuch nannte. So kam
ich wieder ums Gelaͤute, wornach ich doch
ſo luͤſtern war.

Herr, laß ihn noch dieſe Nacht! dieſen
Tag, noch drey Tage, ſagte der Prediger mit
andern Worten zum Grafen, die ſich der Graf
oft wiederhohlen lies, eh’ er dieſe Friſt be-
willigte. Herr, laß ihn noch, war der Mor-
gengruß des Predigers, denn ich hatte eine
elende, lange, lange Nacht gehabt, und der
Tag war, wie ſie. —

Der Graf declamirte fuͤr, der Prediger
wider den Tod. Jener mit erhabner Stim-
me, dieſer mit leiſer Schmerztheilnehmender.
Nie vergeß ich die graͤflichen Worte: Stirbt
man denn an der Krankheit, Freund? Vom
Leben ſtirbt man, und wenn unſer Liebling
(ich lieb’ ihn wie Sie) wenn er geſund wird,
entfloh er dem Tode? nein, nur der Krank-
heit. Allen? Nein, dieſer. — Eine große
Sache!

Der Graf hielte drey Safts bey ſeinen
Kranken, die Unterſafts, die Aderbinder und
Pulsbeſchleicher ungerechnet. Der Arzt, der
mich beſuchte, wußte, daß er dem Grafen mit
einem heimlichen Kopfſchuͤtteln einen Gefallen

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[144/0150] Todtenliſte eingetragen ward, welche der Graf das Himmelsbuͤrgerbuch nannte. So kam ich wieder ums Gelaͤute, wornach ich doch ſo luͤſtern war. Herr, laß ihn noch dieſe Nacht! dieſen Tag, noch drey Tage, ſagte der Prediger mit andern Worten zum Grafen, die ſich der Graf oft wiederhohlen lies, eh’ er dieſe Friſt be- willigte. Herr, laß ihn noch, war der Mor- gengruß des Predigers, denn ich hatte eine elende, lange, lange Nacht gehabt, und der Tag war, wie ſie. — Der Graf declamirte fuͤr, der Prediger wider den Tod. Jener mit erhabner Stim- me, dieſer mit leiſer Schmerztheilnehmender. Nie vergeß ich die graͤflichen Worte: Stirbt man denn an der Krankheit, Freund? Vom Leben ſtirbt man, und wenn unſer Liebling (ich lieb’ ihn wie Sie) wenn er geſund wird, entfloh er dem Tode? nein, nur der Krank- heit. Allen? Nein, dieſer. — Eine große Sache! Der Graf hielte drey Safts bey ſeinen Kranken, die Unterſafts, die Aderbinder und Pulsbeſchleicher ungerechnet. Der Arzt, der mich beſuchte, wußte, daß er dem Grafen mit einem heimlichen Kopfſchuͤtteln einen Gefallen erwies,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/150>, abgerufen am 27.11.2024.