Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Grab auszuweichen. Man muß, wenn man
frisch gesund und stark ist, auf Tod und Le-
ben gefaßt seyn, fuhr er fort, und wenn man
krank danieder liegt, allein auf den Tod. --
Wenn die alten Hochadlichen Häuser die
schon gestorbene, verschiedene Hand der Cur-
länderin jezt gesehen, die sie ihr zu einer Zeit
rund abvotirten, obgleich andre mehr bewan-
derte Hochadliche Herrschaften sie ihr gnä-
digst ließen -- wahrlich, sie hätten ihr Urtel
revocirt! Mit den Urtheilen!

Die arme Unglückliche konnt' ihr Gesicht
nicht von mir wenden. Gewis, sagte der
Graf zu mir, ist sie ihrem Vater, dem sie
sehr ähnlich seyn müßen, guter gewesen, als
er ihr. Auf diese Art scheinet wohl die jüng-
ste Tochter des Pastor L -- (der nicht Präpo-
situs ward, obgleich er sich auf den Kopf
setzte) Theil am Gastmahl zu haben, wozu
mein Vater eingeladen ward, nachdem im
Pastorat des verunglückten Präpositus L. in
Curland erscholl: mein Vater hätte die Gabe
der Enthaltsamkeit nicht. Ob das Ave Maria,
der Gruß, den mein Vater dieser Ritterin
eher als ihren ältesten Schwestern zuwandte,
oder würklich allmählige Neigung die Ursache
gewesen? und viele obs und viele oders mehr,

leg'
J 5

Grab auszuweichen. Man muß, wenn man
friſch geſund und ſtark iſt, auf Tod und Le-
ben gefaßt ſeyn, fuhr er fort, und wenn man
krank danieder liegt, allein auf den Tod. —
Wenn die alten Hochadlichen Haͤuſer die
ſchon geſtorbene, verſchiedene Hand der Cur-
laͤnderin jezt geſehen, die ſie ihr zu einer Zeit
rund abvotirten, obgleich andre mehr bewan-
derte Hochadliche Herrſchaften ſie ihr gnaͤ-
digſt ließen — wahrlich, ſie haͤtten ihr Urtel
revocirt! Mit den Urtheilen!

Die arme Ungluͤckliche konnt’ ihr Geſicht
nicht von mir wenden. Gewis, ſagte der
Graf zu mir, iſt ſie ihrem Vater, dem ſie
ſehr aͤhnlich ſeyn muͤßen, guter geweſen, als
er ihr. Auf dieſe Art ſcheinet wohl die juͤng-
ſte Tochter des Paſtor L — (der nicht Praͤpo-
ſitus ward, obgleich er ſich auf den Kopf
ſetzte) Theil am Gaſtmahl zu haben, wozu
mein Vater eingeladen ward, nachdem im
Paſtorat des verungluͤckten Praͤpoſitus L. in
Curland erſcholl: mein Vater haͤtte die Gabe
der Enthaltſamkeit nicht. Ob das Ave Maria,
der Gruß, den mein Vater dieſer Ritterin
eher als ihren aͤlteſten Schweſtern zuwandte,
oder wuͤrklich allmaͤhlige Neigung die Urſache
geweſen? und viele obs und viele oders mehr,

leg’
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="137"/>
Grab auszuweichen. Man muß, wenn man<lb/>
fri&#x017F;ch ge&#x017F;und und &#x017F;tark i&#x017F;t, auf Tod und Le-<lb/>
ben gefaßt &#x017F;eyn, fuhr er fort, und wenn man<lb/>
krank danieder liegt, allein auf den Tod. &#x2014;<lb/>
Wenn die alten Hochadlichen Ha&#x0364;u&#x017F;er die<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;torbene, ver&#x017F;chiedene Hand der Cur-<lb/>
la&#x0364;nderin jezt ge&#x017F;ehen, die &#x017F;ie ihr zu einer Zeit<lb/>
rund abvotirten, obgleich andre mehr bewan-<lb/>
derte Hochadliche Herr&#x017F;chaften &#x017F;ie ihr gna&#x0364;-<lb/>
dig&#x017F;t ließen &#x2014; wahrlich, &#x017F;ie ha&#x0364;tten ihr Urtel<lb/>
revocirt! Mit den Urtheilen!</p><lb/>
        <p>Die arme Unglu&#x0364;ckliche konnt&#x2019; ihr Ge&#x017F;icht<lb/>
nicht von mir wenden. Gewis, &#x017F;agte der<lb/>
Graf zu mir, i&#x017F;t &#x017F;ie ihrem Vater, dem &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehr a&#x0364;hnlich &#x017F;eyn mu&#x0364;ßen, guter gewe&#x017F;en, als<lb/>
er ihr. Auf die&#x017F;e Art &#x017F;cheinet wohl die ju&#x0364;ng-<lb/>
&#x017F;te Tochter des Pa&#x017F;tor L &#x2014; (der nicht Pra&#x0364;po-<lb/>
&#x017F;itus ward, obgleich er &#x017F;ich auf den Kopf<lb/>
&#x017F;etzte) Theil am Ga&#x017F;tmahl zu haben, wozu<lb/>
mein Vater eingeladen ward, nachdem im<lb/>
Pa&#x017F;torat des verunglu&#x0364;ckten Pra&#x0364;po&#x017F;itus L. in<lb/>
Curland er&#x017F;choll: mein Vater ha&#x0364;tte die Gabe<lb/>
der Enthalt&#x017F;amkeit nicht. Ob das Ave Maria,<lb/>
der Gruß, den mein Vater die&#x017F;er Ritterin<lb/>
eher als ihren a&#x0364;lte&#x017F;ten Schwe&#x017F;tern zuwandte,<lb/>
oder wu&#x0364;rklich allma&#x0364;hlige Neigung die Ur&#x017F;ache<lb/>
gewe&#x017F;en? und viele obs und viele oders mehr,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5</fw><fw place="bottom" type="catch">leg&#x2019;</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0143] Grab auszuweichen. Man muß, wenn man friſch geſund und ſtark iſt, auf Tod und Le- ben gefaßt ſeyn, fuhr er fort, und wenn man krank danieder liegt, allein auf den Tod. — Wenn die alten Hochadlichen Haͤuſer die ſchon geſtorbene, verſchiedene Hand der Cur- laͤnderin jezt geſehen, die ſie ihr zu einer Zeit rund abvotirten, obgleich andre mehr bewan- derte Hochadliche Herrſchaften ſie ihr gnaͤ- digſt ließen — wahrlich, ſie haͤtten ihr Urtel revocirt! Mit den Urtheilen! Die arme Ungluͤckliche konnt’ ihr Geſicht nicht von mir wenden. Gewis, ſagte der Graf zu mir, iſt ſie ihrem Vater, dem ſie ſehr aͤhnlich ſeyn muͤßen, guter geweſen, als er ihr. Auf dieſe Art ſcheinet wohl die juͤng- ſte Tochter des Paſtor L — (der nicht Praͤpo- ſitus ward, obgleich er ſich auf den Kopf ſetzte) Theil am Gaſtmahl zu haben, wozu mein Vater eingeladen ward, nachdem im Paſtorat des verungluͤckten Praͤpoſitus L. in Curland erſcholl: mein Vater haͤtte die Gabe der Enthaltſamkeit nicht. Ob das Ave Maria, der Gruß, den mein Vater dieſer Ritterin eher als ihren aͤlteſten Schweſtern zuwandte, oder wuͤrklich allmaͤhlige Neigung die Urſache geweſen? und viele obs und viele oders mehr, leg’ J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/143
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/143>, abgerufen am 06.05.2024.