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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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oder seit sie begraben ist, (bis dahin dacht'
ich noch immer, ich hätt' sie) seitdem sie be-
graben und ganz todt ist, ist alles todt für
mich, alles bis auf mich! Ich leider! lebe!
o ich armer Mann! ich wie Brod ohne Kruste
so weich! so kraftlos, so! recht so bin ich --
ich armer alter Mann! Es stirbt nur wer le-
ben will. Habt Mitleiden mit mir im Him-
mel, ihr Seligen, und bittet den lieben Gott,
daß er mich zu sich nehme. Mein Haus
und Hof kommt doch in fremde Händ', ich
will es wem vermachen, der Lottchen ähn-
lich sieht; denn wo soll ichs sonst lassen? Oft
freut' ich mich darauf, Euch, meine Seli-
gen!
von Lotten neue Zeitung zu bringen,
wenn ich zu euch käme, zu euch, ihr mir
verwandte Seligen! Sie ist mir vorgelaufen.
O! wie gut ists, wie sehr gut, einen von
den Seinen auf dieser Welt zu haben. Ist
es denn nicht auch Gottes Welt? Diese Welt
der Leib, der Himmel die Seele. Beydes
gut. Wer wird nun vor Tisch, wer wird
beten, damit mir das Essen gedeye, da Lotte
todt ist? Wer wird mir so schön, so laut vor-
beten, wer? wer? Wer wird mir Weib, Toch-
ter, Schwiegersohn, wer Lotte selbst seyn?
Lotte selbst? Wer wird mir die Augen zu-

drücken?
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oder ſeit ſie begraben iſt, (bis dahin dacht’
ich noch immer, ich haͤtt’ ſie) ſeitdem ſie be-
graben und ganz todt iſt, iſt alles todt fuͤr
mich, alles bis auf mich! Ich leider! lebe!
o ich armer Mann! ich wie Brod ohne Kruſte
ſo weich! ſo kraftlos, ſo! recht ſo bin ich —
ich armer alter Mann! Es ſtirbt nur wer le-
ben will. Habt Mitleiden mit mir im Him-
mel, ihr Seligen, und bittet den lieben Gott,
daß er mich zu ſich nehme. Mein Haus
und Hof kommt doch in fremde Haͤnd’, ich
will es wem vermachen, der Lottchen aͤhn-
lich ſieht; denn wo ſoll ichs ſonſt laſſen? Oft
freut’ ich mich darauf, Euch, meine Seli-
gen!
von Lotten neue Zeitung zu bringen,
wenn ich zu euch kaͤme, zu euch, ihr mir
verwandte Seligen! Sie iſt mir vorgelaufen.
O! wie gut iſts, wie ſehr gut, einen von
den Seinen auf dieſer Welt zu haben. Iſt
es denn nicht auch Gottes Welt? Dieſe Welt
der Leib, der Himmel die Seele. Beydes
gut. Wer wird nun vor Tiſch, wer wird
beten, damit mir das Eſſen gedeye, da Lotte
todt iſt? Wer wird mir ſo ſchoͤn, ſo laut vor-
beten, wer? wer? Wer wird mir Weib, Toch-
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[567/0579] oder ſeit ſie begraben iſt, (bis dahin dacht’ ich noch immer, ich haͤtt’ ſie) ſeitdem ſie be- graben und ganz todt iſt, iſt alles todt fuͤr mich, alles bis auf mich! Ich leider! lebe! o ich armer Mann! ich wie Brod ohne Kruſte ſo weich! ſo kraftlos, ſo! recht ſo bin ich — ich armer alter Mann! Es ſtirbt nur wer le- ben will. Habt Mitleiden mit mir im Him- mel, ihr Seligen, und bittet den lieben Gott, daß er mich zu ſich nehme. Mein Haus und Hof kommt doch in fremde Haͤnd’, ich will es wem vermachen, der Lottchen aͤhn- lich ſieht; denn wo ſoll ichs ſonſt laſſen? Oft freut’ ich mich darauf, Euch, meine Seli- gen! von Lotten neue Zeitung zu bringen, wenn ich zu euch kaͤme, zu euch, ihr mir verwandte Seligen! Sie iſt mir vorgelaufen. O! wie gut iſts, wie ſehr gut, einen von den Seinen auf dieſer Welt zu haben. Iſt es denn nicht auch Gottes Welt? Dieſe Welt der Leib, der Himmel die Seele. Beydes gut. Wer wird nun vor Tiſch, wer wird beten, damit mir das Eſſen gedeye, da Lotte todt iſt? Wer wird mir ſo ſchoͤn, ſo laut vor- beten, wer? wer? Wer wird mir Weib, Toch- ter, Schwiegerſohn, wer Lotte ſelbſt ſeyn? Lotte ſelbſt? Wer wird mir die Augen zu- druͤcken? N n 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/579>, abgerufen am 22.11.2024.