Mine konnt' es nicht über ihr Herz brin- gen, sich nach dem Befinden ihres Vaters zu erkundigen. Er dagegen hatt' auch kein Herz, an seine Krankheit zu denken. Herr- manns Gesicht war bei aller angenommenen Freundlichkeit so durchsichtig, daß Mine wörtlich ihr Schicksal daraus abnehmen konnte. --
Er fieng die Lobred' auf Herrn v. E. mit dem Eingang an: Wir haben uns geirrt, Mine. Irren ist menschlich. Wir haben uns geirrt. Herr v. E. ist nicht der Herr v. E. den wir glaubten, sondern ein ganz anderer Herr v. E.. Der Text der Lobrede betraf seine Verlobung mit der Fräulein S., und seine Erd- Wand- Band- Niet- und Nagel- feste Liebe zu ihr.
Oft kam die Verlobungserzählung so un- zeitig, daß Mine mehr als zu deutlich sehen konnte, was diese Wiederholung sagen wollte. -- Nach einer Weile fieng er an: du kannst nicht glauben, mein Kind, wie du dich durch deine Tugend dem Herrn v. E. empfohlen hast: er hat zum ersten und zum zweiten mal ein Geschenk für dich in der Hand gehabt; allein du hast ihm so viel Achtung eingeflößt, daß er es nicht wagen dörfen --
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Mine konnt’ es nicht uͤber ihr Herz brin- gen, ſich nach dem Befinden ihres Vaters zu erkundigen. Er dagegen hatt’ auch kein Herz, an ſeine Krankheit zu denken. Herr- manns Geſicht war bei aller angenommenen Freundlichkeit ſo durchſichtig, daß Mine woͤrtlich ihr Schickſal daraus abnehmen konnte. —
Er fieng die Lobred’ auf Herrn v. E. mit dem Eingang an: Wir haben uns geirrt, Mine. Irren iſt menſchlich. Wir haben uns geirrt. Herr v. E. iſt nicht der Herr v. E. den wir glaubten, ſondern ein ganz anderer Herr v. E.. Der Text der Lobrede betraf ſeine Verlobung mit der Fraͤulein S., und ſeine Erd- Wand- Band- Niet- und Nagel- feſte Liebe zu ihr.
Oft kam die Verlobungserzaͤhlung ſo un- zeitig, daß Mine mehr als zu deutlich ſehen konnte, was dieſe Wiederholung ſagen wollte. — Nach einer Weile fieng er an: du kannſt nicht glauben, mein Kind, wie du dich durch deine Tugend dem Herrn v. E. empfohlen haſt: er hat zum erſten und zum zweiten mal ein Geſchenk fuͤr dich in der Hand gehabt; allein du haſt ihm ſo viel Achtung eingefloͤßt, daß er es nicht wagen doͤrfen —
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Mine konnt’ es nicht uͤber ihr Herz brin-
gen, ſich nach dem Befinden ihres Vaters zu
erkundigen. Er dagegen hatt’ auch kein
Herz, an ſeine Krankheit zu denken. Herr-
manns Geſicht war bei aller angenommenen
Freundlichkeit ſo durchſichtig, daß Mine
woͤrtlich ihr Schickſal daraus abnehmen
konnte. —
Er fieng die Lobred’ auf Herrn v. E. mit
dem Eingang an: Wir haben uns geirrt,
Mine. Irren iſt menſchlich. Wir haben uns
geirrt. Herr v. E. iſt nicht der Herr v. E.
den wir glaubten, ſondern ein ganz anderer
Herr v. E.. Der Text der Lobrede betraf
ſeine Verlobung mit der Fraͤulein S., und
ſeine Erd- Wand- Band- Niet- und Nagel-
feſte Liebe zu ihr.
Oft kam die Verlobungserzaͤhlung ſo un-
zeitig, daß Mine mehr als zu deutlich ſehen
konnte, was dieſe Wiederholung ſagen wollte.
— Nach einer Weile fieng er an: du kannſt
nicht glauben, mein Kind, wie du dich durch
deine Tugend dem Herrn v. E. empfohlen haſt:
er hat zum erſten und zum zweiten mal ein
Geſchenk fuͤr dich in der Hand gehabt; allein
du haſt ihm ſo viel Achtung eingefloͤßt, daß
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/337>, abgerufen am 22.11.2024.
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