Es that mir leid, sobald ich diesen Zu- satz ausgesprochen hatte. Der alte Herr schien es zu empfinden, und setzte seine Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus ist freylich, sagt' er, ein halber Edelmann; in- dessen ist zwischen halb und ganz ein Unter- schied. Man laß' ihnen das von, wenn sie uns nur den Verstand lassen. Da er her- ausgieng, sich eine Flasche Wein zu besor- gen, um noch eine Pfeife, wie er sagte, in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich das Testament meines Vaters heraus, wel- ches ich die ganze Zeit über verborgen in der Hand gehalten. Ich hatte beynah diesen Abend nur mit einer Hand gegessen; denn ich konnte dies Testament in der Tasche kei- nen Augenblick allein lassen. Die Hand, mit der ichs hielt, war in einer solchen Tran- spiration, als wenn sie nicht zu den übrigen Theilen des Körpers gehörte.
anekhou kai apekhou las ich, und las wieder: anekhou kai apekhou. Oefne sie nicht eher, als wenn du in der größten Noth bist, und was ist die größte Noth? -- dacht ich bey mir selbst. Ich fand, daß Geld in diesem letzten Willen lag, und da es sich nicht thun lies, meinen Kasten aufzuschließen,
und
B 5
Es that mir leid, ſobald ich dieſen Zu- ſatz ausgeſprochen hatte. Der alte Herr ſchien es zu empfinden, und ſetzte ſeine Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus iſt freylich, ſagt’ er, ein halber Edelmann; in- deſſen iſt zwiſchen halb und ganz ein Unter- ſchied. Man laß’ ihnen das von, wenn ſie uns nur den Verſtand laſſen. Da er her- ausgieng, ſich eine Flaſche Wein zu beſor- gen, um noch eine Pfeife, wie er ſagte, in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich das Teſtament meines Vaters heraus, wel- ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der Hand gehalten. Ich hatte beynah dieſen Abend nur mit einer Hand gegeſſen; denn ich konnte dies Teſtament in der Taſche kei- nen Augenblick allein laſſen. Die Hand, mit der ichs hielt, war in einer ſolchen Tran- ſpiration, als wenn ſie nicht zu den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers gehoͤrte.
ανεχου και απὲχου las ich, und las wieder: ανεχου και απὲχου. Oefne ſie nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth biſt, und was iſt die groͤßte Noth? — dacht ich bey mir ſelbſt. Ich fand, daß Geld in dieſem letzten Willen lag, und da es ſich nicht thun lies, meinen Kaſten aufzuſchließen,
und
B 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0031"n="25"/><p>Es that mir leid, ſobald ich dieſen Zu-<lb/>ſatz ausgeſprochen hatte. Der alte Herr<lb/>ſchien es zu empfinden, und ſetzte ſeine<lb/>
Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus iſt<lb/>
freylich, ſagt’ er, ein halber Edelmann; in-<lb/>
deſſen iſt zwiſchen halb und ganz ein Unter-<lb/>ſchied. Man laß’ ihnen das von, wenn ſie<lb/>
uns nur den Verſtand laſſen. Da er her-<lb/>
ausgieng, ſich eine Flaſche Wein zu beſor-<lb/>
gen, um noch eine Pfeife, wie er ſagte,<lb/><hirendition="#aq">in bona pice et pace</hi> zu rauchen: nahm ich<lb/>
das Teſtament meines Vaters heraus, wel-<lb/>
ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der<lb/>
Hand gehalten. Ich hatte beynah dieſen<lb/>
Abend nur mit einer Hand gegeſſen; denn<lb/>
ich konnte dies Teſtament in der Taſche kei-<lb/>
nen Augenblick allein laſſen. Die Hand,<lb/>
mit der ichs hielt, war in einer ſolchen Tran-<lb/>ſpiration, als wenn ſie nicht zu den uͤbrigen<lb/>
Theilen des Koͤrpers gehoͤrte.</p><lb/><p>ανεχουκαιαπὲχου las ich, und las<lb/>
wieder: ανεχουκαιαπὲχου. Oefne ſie<lb/>
nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth<lb/>
biſt, und was iſt die groͤßte Noth? — dacht<lb/>
ich bey mir ſelbſt. Ich fand, daß Geld in<lb/>
dieſem letzten Willen lag, und da es ſich nicht<lb/>
thun lies, meinen Kaſten aufzuſchließen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0031]
Es that mir leid, ſobald ich dieſen Zu-
ſatz ausgeſprochen hatte. Der alte Herr
ſchien es zu empfinden, und ſetzte ſeine
Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus iſt
freylich, ſagt’ er, ein halber Edelmann; in-
deſſen iſt zwiſchen halb und ganz ein Unter-
ſchied. Man laß’ ihnen das von, wenn ſie
uns nur den Verſtand laſſen. Da er her-
ausgieng, ſich eine Flaſche Wein zu beſor-
gen, um noch eine Pfeife, wie er ſagte,
in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich
das Teſtament meines Vaters heraus, wel-
ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der
Hand gehalten. Ich hatte beynah dieſen
Abend nur mit einer Hand gegeſſen; denn
ich konnte dies Teſtament in der Taſche kei-
nen Augenblick allein laſſen. Die Hand,
mit der ichs hielt, war in einer ſolchen Tran-
ſpiration, als wenn ſie nicht zu den uͤbrigen
Theilen des Koͤrpers gehoͤrte.
ανεχου και απὲχου las ich, und las
wieder: ανεχου και απὲχου. Oefne ſie
nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth
biſt, und was iſt die groͤßte Noth? — dacht
ich bey mir ſelbſt. Ich fand, daß Geld in
dieſem letzten Willen lag, und da es ſich nicht
thun lies, meinen Kaſten aufzuſchließen,
und
B 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/31>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.