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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Es that mir leid, sobald ich diesen Zu-
satz ausgesprochen hatte. Der alte Herr
schien es zu empfinden, und setzte seine
Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus ist
freylich, sagt' er, ein halber Edelmann; in-
dessen ist zwischen halb und ganz ein Unter-
schied. Man laß' ihnen das von, wenn sie
uns nur den Verstand lassen. Da er her-
ausgieng, sich eine Flasche Wein zu besor-
gen, um noch eine Pfeife, wie er sagte,
in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich
das Testament meines Vaters heraus, wel-
ches ich die ganze Zeit über verborgen in der
Hand gehalten. Ich hatte beynah diesen
Abend nur mit einer Hand gegessen; denn
ich konnte dies Testament in der Tasche kei-
nen Augenblick allein lassen. Die Hand,
mit der ichs hielt, war in einer solchen Tran-
spiration, als wenn sie nicht zu den übrigen
Theilen des Körpers gehörte.

anekhou kai apekhou las ich, und las
wieder: anekhou kai apekhou. Oefne sie
nicht eher, als wenn du in der größten Noth
bist, und was ist die größte Noth? -- dacht
ich bey mir selbst. Ich fand, daß Geld in
diesem letzten Willen lag, und da es sich nicht
thun lies, meinen Kasten aufzuschließen,

und
B 5

Es that mir leid, ſobald ich dieſen Zu-
ſatz ausgeſprochen hatte. Der alte Herr
ſchien es zu empfinden, und ſetzte ſeine
Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus iſt
freylich, ſagt’ er, ein halber Edelmann; in-
deſſen iſt zwiſchen halb und ganz ein Unter-
ſchied. Man laß’ ihnen das von, wenn ſie
uns nur den Verſtand laſſen. Da er her-
ausgieng, ſich eine Flaſche Wein zu beſor-
gen, um noch eine Pfeife, wie er ſagte,
in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich
das Teſtament meines Vaters heraus, wel-
ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der
Hand gehalten. Ich hatte beynah dieſen
Abend nur mit einer Hand gegeſſen; denn
ich konnte dies Teſtament in der Taſche kei-
nen Augenblick allein laſſen. Die Hand,
mit der ichs hielt, war in einer ſolchen Tran-
ſpiration, als wenn ſie nicht zu den uͤbrigen
Theilen des Koͤrpers gehoͤrte.

ανεχου και απὲχου las ich, und las
wieder: ανεχου και απὲχου. Oefne ſie
nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth
biſt, und was iſt die groͤßte Noth? — dacht
ich bey mir ſelbſt. Ich fand, daß Geld in
dieſem letzten Willen lag, und da es ſich nicht
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[25/0031] Es that mir leid, ſobald ich dieſen Zu- ſatz ausgeſprochen hatte. Der alte Herr ſchien es zu empfinden, und ſetzte ſeine Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus iſt freylich, ſagt’ er, ein halber Edelmann; in- deſſen iſt zwiſchen halb und ganz ein Unter- ſchied. Man laß’ ihnen das von, wenn ſie uns nur den Verſtand laſſen. Da er her- ausgieng, ſich eine Flaſche Wein zu beſor- gen, um noch eine Pfeife, wie er ſagte, in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich das Teſtament meines Vaters heraus, wel- ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der Hand gehalten. Ich hatte beynah dieſen Abend nur mit einer Hand gegeſſen; denn ich konnte dies Teſtament in der Taſche kei- nen Augenblick allein laſſen. Die Hand, mit der ichs hielt, war in einer ſolchen Tran- ſpiration, als wenn ſie nicht zu den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers gehoͤrte. ανεχου και απὲχου las ich, und las wieder: ανεχου και απὲχου. Oefne ſie nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth biſt, und was iſt die groͤßte Noth? — dacht ich bey mir ſelbſt. Ich fand, daß Geld in dieſem letzten Willen lag, und da es ſich nicht thun lies, meinen Kaſten aufzuſchließen, und B 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/31>, abgerufen am 19.04.2024.