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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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nichtete nicht Spröslinge von Witz der Jüng-
linge, die mit ihm zu Tische saßen, um den
Saft den bejahrten Zweigen zuzuleiten. Witz
und Verstand war ihm Witz und Verstand --
es mochte hervorsproßen, wo es wolte. --
Er wußte wohl, daß alles Obst nicht reif sey,
das der Wind herabwirft. -- Es war nicht
abgezogener Geist, nicht Lebenstinktur --
was er sprach. Beym Creysrichter sprach er,
wie der Creyßrichter, der über nichts als
Schlägereyen, neue Brautschaften, Todes-
fälle, oder dergleichen Dinge mehr, sich ver-
lauten lies; indessen wußt unser Rath über
die gemeinsten Dinge besonders zu seyn. Oft
war er ganz still, und alsdann sah man es
ihm an, daß er wohlbedächtig mit den fal-
schen Spielern in der Gesellschaft nicht mit-
spielen wolte. -- Ich fand, wenn er sprach,
so viel eigenes, daß ich tausendmal wünschte,
wenn er doch schreiben möchte, oder wenn er
doch wenigstens mehr spräche. Er verbesserte
nie ein Urteil, das er in Gesellschaft hörte,
und legte sich nie das Ansehen einer Appella-
tions und Revisions Instanz bey. Wenn ich
eine Rechtssache gehabt hätte, wäre mir
sein Gutachten Entscheidung gewesen. Viele
hatten dies Zutrauen zu seinem Herzen und

Ver-

nichtete nicht Sproͤslinge von Witz der Juͤng-
linge, die mit ihm zu Tiſche ſaßen, um den
Saft den bejahrten Zweigen zuzuleiten. Witz
und Verſtand war ihm Witz und Verſtand —
es mochte hervorſproßen, wo es wolte. —
Er wußte wohl, daß alles Obſt nicht reif ſey,
das der Wind herabwirft. — Es war nicht
abgezogener Geiſt, nicht Lebenstinktur —
was er ſprach. Beym Creysrichter ſprach er,
wie der Creyßrichter, der uͤber nichts als
Schlaͤgereyen, neue Brautſchaften, Todes-
faͤlle, oder dergleichen Dinge mehr, ſich ver-
lauten lies; indeſſen wußt unſer Rath uͤber
die gemeinſten Dinge beſonders zu ſeyn. Oft
war er ganz ſtill, und alsdann ſah man es
ihm an, daß er wohlbedaͤchtig mit den fal-
ſchen Spielern in der Geſellſchaft nicht mit-
ſpielen wolte. — Ich fand, wenn er ſprach,
ſo viel eigenes, daß ich tauſendmal wuͤnſchte,
wenn er doch ſchreiben moͤchte, oder wenn er
doch wenigſtens mehr ſpraͤche. Er verbeſſerte
nie ein Urteil, das er in Geſellſchaft hoͤrte,
und legte ſich nie das Anſehen einer Appella-
tions und Reviſions Inſtanz bey. Wenn ich
eine Rechtsſache gehabt haͤtte, waͤre mir
ſein Gutachten Entſcheidung geweſen. Viele
hatten dies Zutrauen zu ſeinem Herzen und

Ver-
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[270/0278] nichtete nicht Sproͤslinge von Witz der Juͤng- linge, die mit ihm zu Tiſche ſaßen, um den Saft den bejahrten Zweigen zuzuleiten. Witz und Verſtand war ihm Witz und Verſtand — es mochte hervorſproßen, wo es wolte. — Er wußte wohl, daß alles Obſt nicht reif ſey, das der Wind herabwirft. — Es war nicht abgezogener Geiſt, nicht Lebenstinktur — was er ſprach. Beym Creysrichter ſprach er, wie der Creyßrichter, der uͤber nichts als Schlaͤgereyen, neue Brautſchaften, Todes- faͤlle, oder dergleichen Dinge mehr, ſich ver- lauten lies; indeſſen wußt unſer Rath uͤber die gemeinſten Dinge beſonders zu ſeyn. Oft war er ganz ſtill, und alsdann ſah man es ihm an, daß er wohlbedaͤchtig mit den fal- ſchen Spielern in der Geſellſchaft nicht mit- ſpielen wolte. — Ich fand, wenn er ſprach, ſo viel eigenes, daß ich tauſendmal wuͤnſchte, wenn er doch ſchreiben moͤchte, oder wenn er doch wenigſtens mehr ſpraͤche. Er verbeſſerte nie ein Urteil, das er in Geſellſchaft hoͤrte, und legte ſich nie das Anſehen einer Appella- tions und Reviſions Inſtanz bey. Wenn ich eine Rechtsſache gehabt haͤtte, waͤre mir ſein Gutachten Entſcheidung geweſen. Viele hatten dies Zutrauen zu ſeinem Herzen und Ver-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/278>, abgerufen am 22.11.2024.