Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

len Vorstellungen, die wir von der Sache
haben können, gilt, ist das wahre darin.

In so weit sich eine Sache nicht wider-
spricht, in so weit ist eine Seitenwand zum
Wahrheitsgebäude fertig, in so weit ist eine Be-
dingung da, unter der etwas wahr ist. Wer
kann und will aber sagen: alles was sich nicht
widerspricht, ist wahr? Es kann wahr werden.
Es ist in Gott wahr, jeder Gedanke bey ihm
steht da. Das Principium des Widerspruchs ist
immer ein negatives Wahrheits kennzeichen. Es
ist nur eine Laterne in der Hand; allein es ge-
hört mehr dazu, als meiner Mutter Hand-
laternchen, wenn man hier sicher und ohn-
angefallen an Stell' und Ort kommen soll.

Die Sinne lehren das Formale eines
Dinges, der Verstand das Materiale. Das,
wodurch das Mannigfaltige auf gleiche Art
gedacht werden kann, heißt Regel. Der
Verstand ist das Vermögen der Vorstellungen
nach Regeln. Wir haben viele Vorstellun-
gen, die wir nicht wahrnehmen, deren wir
uns nicht bewußt sind. Man kann mit ei-
nem Menschen sprechen, ohne daß man weiß,
was er für ein Kleid hat, und man kann
denken, ohne daß man es wahrnimmt. Ein
abstrakter Kopf ist, der so denkt, daß er

nur

len Vorſtellungen, die wir von der Sache
haben koͤnnen, gilt, iſt das wahre darin.

In ſo weit ſich eine Sache nicht wider-
ſpricht, in ſo weit iſt eine Seitenwand zum
Wahrheitsgebaͤude fertig, in ſo weit iſt eine Be-
dingung da, unter der etwas wahr iſt. Wer
kann und will aber ſagen: alles was ſich nicht
widerſpricht, iſt wahr? Es kann wahr werden.
Es iſt in Gott wahr, jeder Gedanke bey ihm
ſteht da. Das Principium des Widerſpruchs iſt
immer ein negatives Wahrheits kennzeichen. Es
iſt nur eine Laterne in der Hand; allein es ge-
hoͤrt mehr dazu, als meiner Mutter Hand-
laternchen, wenn man hier ſicher und ohn-
angefallen an Stell’ und Ort kommen ſoll.

Die Sinne lehren das Formale eines
Dinges, der Verſtand das Materiale. Das,
wodurch das Mannigfaltige auf gleiche Art
gedacht werden kann, heißt Regel. Der
Verſtand iſt das Vermoͤgen der Vorſtellungen
nach Regeln. Wir haben viele Vorſtellun-
gen, die wir nicht wahrnehmen, deren wir
uns nicht bewußt ſind. Man kann mit ei-
nem Menſchen ſprechen, ohne daß man weiß,
was er fuͤr ein Kleid hat, und man kann
denken, ohne daß man es wahrnimmt. Ein
abſtrakter Kopf iſt, der ſo denkt, daß er

nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="237"/>
len Vor&#x017F;tellungen, die wir von der Sache<lb/>
haben ko&#x0364;nnen, gilt, i&#x017F;t das wahre darin.</p><lb/>
          <p>In &#x017F;o weit &#x017F;ich eine Sache nicht wider-<lb/>
&#x017F;pricht, in &#x017F;o weit i&#x017F;t eine Seitenwand zum<lb/>
Wahrheitsgeba&#x0364;ude fertig, in &#x017F;o weit i&#x017F;t eine Be-<lb/>
dingung da, unter der etwas wahr i&#x017F;t. Wer<lb/>
kann und will aber &#x017F;agen: alles was &#x017F;ich nicht<lb/>
wider&#x017F;pricht, i&#x017F;t wahr? Es kann wahr werden.<lb/>
Es i&#x017F;t in Gott wahr, jeder Gedanke bey ihm<lb/>
&#x017F;teht da. Das Principium des Wider&#x017F;pruchs i&#x017F;t<lb/>
immer ein negatives Wahrheits kennzeichen. Es<lb/>
i&#x017F;t nur eine Laterne in der Hand; allein es ge-<lb/>
ho&#x0364;rt mehr dazu, als meiner Mutter Hand-<lb/>
laternchen, wenn man hier &#x017F;icher und ohn-<lb/>
angefallen an Stell&#x2019; und Ort kommen &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Die Sinne lehren das Formale eines<lb/>
Dinges, der Ver&#x017F;tand das Materiale. Das,<lb/>
wodurch das Mannigfaltige auf gleiche Art<lb/>
gedacht werden kann, heißt Regel. Der<lb/>
Ver&#x017F;tand i&#x017F;t das Vermo&#x0364;gen der Vor&#x017F;tellungen<lb/>
nach Regeln. Wir haben viele Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen, die wir nicht wahrnehmen, deren wir<lb/>
uns nicht bewußt &#x017F;ind. Man kann mit ei-<lb/>
nem Men&#x017F;chen &#x017F;prechen, ohne daß man weiß,<lb/>
was er fu&#x0364;r ein Kleid hat, und man kann<lb/>
denken, ohne daß man es wahrnimmt. Ein<lb/>
ab&#x017F;trakter Kopf i&#x017F;t, der &#x017F;o denkt, daß er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nur</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0245] len Vorſtellungen, die wir von der Sache haben koͤnnen, gilt, iſt das wahre darin. In ſo weit ſich eine Sache nicht wider- ſpricht, in ſo weit iſt eine Seitenwand zum Wahrheitsgebaͤude fertig, in ſo weit iſt eine Be- dingung da, unter der etwas wahr iſt. Wer kann und will aber ſagen: alles was ſich nicht widerſpricht, iſt wahr? Es kann wahr werden. Es iſt in Gott wahr, jeder Gedanke bey ihm ſteht da. Das Principium des Widerſpruchs iſt immer ein negatives Wahrheits kennzeichen. Es iſt nur eine Laterne in der Hand; allein es ge- hoͤrt mehr dazu, als meiner Mutter Hand- laternchen, wenn man hier ſicher und ohn- angefallen an Stell’ und Ort kommen ſoll. Die Sinne lehren das Formale eines Dinges, der Verſtand das Materiale. Das, wodurch das Mannigfaltige auf gleiche Art gedacht werden kann, heißt Regel. Der Verſtand iſt das Vermoͤgen der Vorſtellungen nach Regeln. Wir haben viele Vorſtellun- gen, die wir nicht wahrnehmen, deren wir uns nicht bewußt ſind. Man kann mit ei- nem Menſchen ſprechen, ohne daß man weiß, was er fuͤr ein Kleid hat, und man kann denken, ohne daß man es wahrnimmt. Ein abſtrakter Kopf iſt, der ſo denkt, daß er nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/245
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/245>, abgerufen am 12.10.2024.