in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geiste, in ungefärbter Liebe, in dem Worte der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken, durch Ehr' und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, als die Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht ertödtet; als die Trauri- gen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viel reich machen; als die nichts inne haben, und doch alles haben." Ein Thema pflegt bey den Geistlichen ein lee- res Haus zu seyn, wo man mancherley und manches anschlagen kann, ein Nagel, an den man viel hängt, ich weiß nicht, ob man nicht auch in diesem Sinn sehr richtig sagen würde: man muß nicht zu viel an einen Na- gel hängen?
Das Ziel, nachdem der Pastor loci an- legte, war der Schein und das Seyn des Christen! Meine Mutter hätte, wenn sie selbst diese Leichenpredigt gehalten, kein ge- reimteres Thema gefunden; ich für mein Theil hatt' alle Fassung nöthig, um mich zu-
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in Faſten, in Keuſchheit, in Erkenntnis, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geiſte, in ungefaͤrbter Liebe, in dem Worte der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken, durch Ehr’ und Schande, durch boͤſe Geruͤchte und gute Geruͤchte, als die Verfuͤhrer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und ſiehe wir leben; als die Gezuͤchtigten und doch nicht ertoͤdtet; als die Trauri- gen, aber allezeit froͤhlich; als die Armen, aber die doch viel reich machen; als die nichts inne haben, und doch alles haben.“ Ein Thema pflegt bey den Geiſtlichen ein lee- res Haus zu ſeyn, wo man mancherley und manches anſchlagen kann, ein Nagel, an den man viel haͤngt, ich weiß nicht, ob man nicht auch in dieſem Sinn ſehr richtig ſagen wuͤrde: man muß nicht zu viel an einen Na- gel haͤngen?
Das Ziel, nachdem der Paſtor loci an- legte, war der Schein und das Seyn des Chriſten! Meine Mutter haͤtte, wenn ſie ſelbſt dieſe Leichenpredigt gehalten, kein ge- reimteres Thema gefunden; ich fuͤr mein Theil hatt’ alle Faſſung noͤthig, um mich zu-
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in Faſten, in Keuſchheit, in Erkenntnis,
in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem
heiligen Geiſte, in ungefaͤrbter Liebe, in
dem Worte der Wahrheit, in der Kraft
Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit,
zur Rechten und zur Linken, durch Ehr’
und Schande, durch boͤſe Geruͤchte und
gute Geruͤchte, als die Verfuͤhrer und
doch wahrhaftig; als die Unbekannten
und doch bekannt; als die Sterbenden
und ſiehe wir leben; als die Gezuͤchtigten
und doch nicht ertoͤdtet; als die Trauri-
gen, aber allezeit froͤhlich; als die Armen,
aber die doch viel reich machen; als die
nichts inne haben, und doch alles haben.“
Ein Thema pflegt bey den Geiſtlichen ein lee-
res Haus zu ſeyn, wo man mancherley und
manches anſchlagen kann, ein Nagel, an
den man viel haͤngt, ich weiß nicht, ob man
nicht auch in dieſem Sinn ſehr richtig ſagen
wuͤrde: man muß nicht zu viel an einen Na-
gel haͤngen?
Das Ziel, nachdem der Paſtor loci an-
legte, war der Schein und das Seyn des
Chriſten! Meine Mutter haͤtte, wenn ſie
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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