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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Erde, werfen. -- Nicht Geld konnte sie
halten. Dafür ward ich im Wagen aus-
gelacht -- und wer weiß, was noch der
Kritikus thut? --

In Wahrheit, wenn sich jemand finden
solte, die Lebensläufe aller dieser Unglück-
lichen in Diogeneshäuschen zu schreiben,
auf einer Reise, die freylich nicht durch die
Welt seyn dürfte, wie ohnedem noch niemand
gereiset ist; gewiß er wär' ein vortreflicher
Schriftsteller, und würde gelesen werden, bis
an den lieben jüngsten Tag. --

Ich hatte, um mir eine Bewegung zu
machen, den Wagen verlaßen, und hiezu
kam noch dankbare Empfindung gegen mein
freyes Vaterland, die ich unmöglich sitzend
aushalten konnte. Ich sahe die Gränzschei-
dung, und da ich eben einen grünen Platz
fand, beredet' ich meinen Gefehrten, Cur-
land zu umarmen. Wir legten uns hin,
so lang wir waren. -- Der Wagen fuhr
langsam weiter, so unvermerkt, wie aus ei-
ner Monarchie Despotismus wird, wenn sie
es nicht schon an sich ist, worüber die Gelehr-
ten noch uneins sind. --

Lebe denn wohl! herzlich geliebtes Va-
terland! Ich danke dem Himmel, daß dein

freyer
L 4

Erde, werfen. — Nicht Geld konnte ſie
halten. Dafuͤr ward ich im Wagen aus-
gelacht — und wer weiß, was noch der
Kritikus thut? —

In Wahrheit, wenn ſich jemand finden
ſolte, die Lebenslaͤufe aller dieſer Ungluͤck-
lichen in Diogeneshaͤuschen zu ſchreiben,
auf einer Reiſe, die freylich nicht durch die
Welt ſeyn duͤrfte, wie ohnedem noch niemand
gereiſet iſt; gewiß er waͤr’ ein vortreflicher
Schriftſteller, und wuͤrde geleſen werden, bis
an den lieben juͤngſten Tag. —

Ich hatte, um mir eine Bewegung zu
machen, den Wagen verlaßen, und hiezu
kam noch dankbare Empfindung gegen mein
freyes Vaterland, die ich unmoͤglich ſitzend
aushalten konnte. Ich ſahe die Graͤnzſchei-
dung, und da ich eben einen gruͤnen Platz
fand, beredet’ ich meinen Gefehrten, Cur-
land zu umarmen. Wir legten uns hin,
ſo lang wir waren. — Der Wagen fuhr
langſam weiter, ſo unvermerkt, wie aus ei-
ner Monarchie Despotiſmus wird, wenn ſie
es nicht ſchon an ſich iſt, woruͤber die Gelehr-
ten noch uneins ſind. —

Lebe denn wohl! herzlich geliebtes Va-
terland! Ich danke dem Himmel, daß dein

freyer
L 4
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[167/0175] Erde, werfen. — Nicht Geld konnte ſie halten. Dafuͤr ward ich im Wagen aus- gelacht — und wer weiß, was noch der Kritikus thut? — In Wahrheit, wenn ſich jemand finden ſolte, die Lebenslaͤufe aller dieſer Ungluͤck- lichen in Diogeneshaͤuschen zu ſchreiben, auf einer Reiſe, die freylich nicht durch die Welt ſeyn duͤrfte, wie ohnedem noch niemand gereiſet iſt; gewiß er waͤr’ ein vortreflicher Schriftſteller, und wuͤrde geleſen werden, bis an den lieben juͤngſten Tag. — Ich hatte, um mir eine Bewegung zu machen, den Wagen verlaßen, und hiezu kam noch dankbare Empfindung gegen mein freyes Vaterland, die ich unmoͤglich ſitzend aushalten konnte. Ich ſahe die Graͤnzſchei- dung, und da ich eben einen gruͤnen Platz fand, beredet’ ich meinen Gefehrten, Cur- land zu umarmen. Wir legten uns hin, ſo lang wir waren. — Der Wagen fuhr langſam weiter, ſo unvermerkt, wie aus ei- ner Monarchie Despotiſmus wird, wenn ſie es nicht ſchon an ſich iſt, woruͤber die Gelehr- ten noch uneins ſind. — Lebe denn wohl! herzlich geliebtes Va- terland! Ich danke dem Himmel, daß dein freyer L 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/175>, abgerufen am 26.11.2024.