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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Es lebte meine Mutter überhaupt mit
dem Herrn Amtmann im beständigen Strei-
te; obschon sie im Grunde gute Freunde wa-
ren. Sie gab ihm an Stärke in der un-
deutschen Sprache nicht einen kleinen Finger
breit nach; allein sie sahe diese Sprache aus
dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut-
scher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch
ein Deutscher war sprach er zuweilen von
A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut-
ter in eine solche Enge, daß er nicht aus
noch ein wußte. Erzen Er pflegte sie ihm
nachzuspotten (denn das H. fehlet der letti-
schen Sprache, so wie das C.) sagt a. b. d.
sonst würd man euch wegen Dieberei in An-
spruch nehmen --

Die Letten haben einen unüberwindlichen
Hang zur Poesie, und ob ich gleich gewis
glaube dieser Umstand habe den poetischen
Samen in meine Mutter ausgestreuet, wel-
che schon in ihren Vorfahren mit diesem Vol-
ke zusammen Früchte eines Feldes gegessen
und Wasser eines Flußes getrunken; war
sie doch in diesem Stück unerkenntlich. Sie
bestritt' indessen nicht, daß die lettische Spra-
che schon halb Poesie wäre. Sie klingt sagte
sie wie ein Tischglöckchen; die Deutsche aber

wie

Es lebte meine Mutter uͤberhaupt mit
dem Herrn Amtmann im beſtaͤndigen Strei-
te; obſchon ſie im Grunde gute Freunde wa-
ren. Sie gab ihm an Staͤrke in der un-
deutſchen Sprache nicht einen kleinen Finger
breit nach; allein ſie ſahe dieſe Sprache aus
dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut-
ſcher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch
ein Deutſcher war ſprach er zuweilen von
A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut-
ter in eine ſolche Enge, daß er nicht aus
noch ein wußte. Erzen Er pflegte ſie ihm
nachzuſpotten (denn das H. fehlet der letti-
ſchen Sprache, ſo wie das C.) ſagt a. b. d.
ſonſt wuͤrd man euch wegen Dieberei in An-
ſpruch nehmen —

Die Letten haben einen unuͤberwindlichen
Hang zur Poeſie, und ob ich gleich gewis
glaube dieſer Umſtand habe den poetiſchen
Samen in meine Mutter ausgeſtreuet, wel-
che ſchon in ihren Vorfahren mit dieſem Vol-
ke zuſammen Fruͤchte eines Feldes gegeſſen
und Waſſer eines Flußes getrunken; war
ſie doch in dieſem Stuͤck unerkenntlich. Sie
beſtritt’ indeſſen nicht, daß die lettiſche Spra-
che ſchon halb Poeſie waͤre. Sie klingt ſagte
ſie wie ein Tiſchgloͤckchen; die Deutſche aber

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[72/0080] Es lebte meine Mutter uͤberhaupt mit dem Herrn Amtmann im beſtaͤndigen Strei- te; obſchon ſie im Grunde gute Freunde wa- ren. Sie gab ihm an Staͤrke in der un- deutſchen Sprache nicht einen kleinen Finger breit nach; allein ſie ſahe dieſe Sprache aus dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut- ſcher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch ein Deutſcher war ſprach er zuweilen von A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut- ter in eine ſolche Enge, daß er nicht aus noch ein wußte. Erzen Er pflegte ſie ihm nachzuſpotten (denn das H. fehlet der letti- ſchen Sprache, ſo wie das C.) ſagt a. b. d. ſonſt wuͤrd man euch wegen Dieberei in An- ſpruch nehmen — Die Letten haben einen unuͤberwindlichen Hang zur Poeſie, und ob ich gleich gewis glaube dieſer Umſtand habe den poetiſchen Samen in meine Mutter ausgeſtreuet, wel- che ſchon in ihren Vorfahren mit dieſem Vol- ke zuſammen Fruͤchte eines Feldes gegeſſen und Waſſer eines Flußes getrunken; war ſie doch in dieſem Stuͤck unerkenntlich. Sie beſtritt’ indeſſen nicht, daß die lettiſche Spra- che ſchon halb Poeſie waͤre. Sie klingt ſagte ſie wie ein Tiſchgloͤckchen; die Deutſche aber wie

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/80>, abgerufen am 27.11.2024.