Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778. Pastor. Leute, die eine gewiße Aufmerck- samkeit auf sich ziehen, die im Staat bezeich- net sind, können sich nicht betrincken, ohne sich verächtlich zu machen -- wie zum Exem- pel Pastores und Juden. Alles läuft ihnen nach. -- Man sieht den Noa, wenn man einen trunckenen Pastor und Juden sieht. In England, wo ein Prediger kein Erzvater ist, würd es weniger anstößig seyn, einen kopfhängenden Pastor in betrunckenem Mu- the zu sehen. -- Herr v. G. Ein Schwärmer ist ein See- lentrunckener. Wenn ich schon nüchtern unter Trunckenen seyn soll, will ich lieber unter Leibes als Seelentrunckenen seyn. Betrun- ckene verstehen sich untereinander; so auch Schwärmer. -- Pastor. Durch den Körper haben wir An- schauung. Wer mit der Seele sieht, ist ein Schwärmer, ein Geisterseher. Ein Enthu- siast ist ein edler Phantast. Ein Phantast glaubt etwas zu empfinden, was er sich ein- bildet. In so fern sein Ideal sein maximum, das er sich ohne Sinnen aus sich selbst dencket, einen ruhmwürdigen Gegenstand trift, ist's Enthusiasmus. Ueber Schwärmerey und Sehe-
Paſtor. Leute, die eine gewiße Aufmerck- ſamkeit auf ſich ziehen, die im Staat bezeich- net ſind, koͤnnen ſich nicht betrincken, ohne ſich veraͤchtlich zu machen — wie zum Exem- pel Paſtores und Juden. Alles laͤuft ihnen nach. — Man ſieht den Noa, wenn man einen trunckenen Paſtor und Juden ſieht. In England, wo ein Prediger kein Erzvater iſt, wuͤrd es weniger anſtoͤßig ſeyn, einen kopfhaͤngenden Paſtor in betrunckenem Mu- the zu ſehen. — Herr v. G. Ein Schwaͤrmer iſt ein See- lentrunckener. Wenn ich ſchon nuͤchtern unter Trunckenen ſeyn ſoll, will ich lieber unter Leibes als Seelentrunckenen ſeyn. Betrun- ckene verſtehen ſich untereinander; ſo auch Schwaͤrmer. — Paſtor. Durch den Koͤrper haben wir An- ſchauung. Wer mit der Seele ſieht, iſt ein Schwaͤrmer, ein Geiſterſeher. Ein Enthu- ſiaſt iſt ein edler Phantaſt. Ein Phantaſt glaubt etwas zu empfinden, was er ſich ein- bildet. In ſo fern ſein Ideal ſein maximum, das er ſich ohne Sinnen aus ſich ſelbſt dencket, einen ruhmwuͤrdigen Gegenſtand trift, iſt’s Enthuſiasmus. Ueber Schwaͤrmerey und Sehe-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0512" n="498"/> <sp> <speaker> <hi rendition="#fr">Paſtor.</hi> </speaker> <p>Leute, die eine gewiße Aufmerck-<lb/> ſamkeit auf ſich ziehen, die im Staat bezeich-<lb/> net ſind, koͤnnen ſich nicht betrincken, ohne<lb/> ſich veraͤchtlich zu machen — wie zum Exem-<lb/> pel Paſtores und Juden. Alles laͤuft ihnen<lb/> nach. — Man ſieht den Noa, wenn man<lb/> einen trunckenen Paſtor und Juden ſieht.<lb/> In England, wo ein Prediger kein Erzvater<lb/> iſt, wuͤrd es weniger anſtoͤßig ſeyn, einen<lb/> kopfhaͤngenden Paſtor in betrunckenem Mu-<lb/> the zu ſehen. —</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#fr">Herr v. G.</hi> </speaker> <p>Ein Schwaͤrmer iſt ein See-<lb/> lentrunckener. Wenn ich ſchon nuͤchtern unter<lb/> Trunckenen ſeyn ſoll, will ich lieber unter<lb/> Leibes als Seelentrunckenen ſeyn. Betrun-<lb/> ckene verſtehen ſich untereinander; ſo auch<lb/> Schwaͤrmer. —</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#fr">Paſtor.</hi> </speaker> <p>Durch den Koͤrper haben wir An-<lb/> ſchauung. Wer mit der Seele ſieht, iſt ein<lb/> Schwaͤrmer, ein Geiſterſeher. Ein Enthu-<lb/> ſiaſt iſt ein edler Phantaſt. Ein Phantaſt<lb/> glaubt etwas zu empfinden, was er ſich ein-<lb/> bildet. In ſo fern ſein Ideal ſein <hi rendition="#aq">maximum</hi>,<lb/> das er ſich ohne Sinnen aus ſich ſelbſt dencket,<lb/> einen ruhmwuͤrdigen Gegenſtand trift, iſt’s<lb/> Enthuſiasmus. Ueber Schwaͤrmerey und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sehe-</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [498/0512]
Paſtor. Leute, die eine gewiße Aufmerck-
ſamkeit auf ſich ziehen, die im Staat bezeich-
net ſind, koͤnnen ſich nicht betrincken, ohne
ſich veraͤchtlich zu machen — wie zum Exem-
pel Paſtores und Juden. Alles laͤuft ihnen
nach. — Man ſieht den Noa, wenn man
einen trunckenen Paſtor und Juden ſieht.
In England, wo ein Prediger kein Erzvater
iſt, wuͤrd es weniger anſtoͤßig ſeyn, einen
kopfhaͤngenden Paſtor in betrunckenem Mu-
the zu ſehen. —
Herr v. G. Ein Schwaͤrmer iſt ein See-
lentrunckener. Wenn ich ſchon nuͤchtern unter
Trunckenen ſeyn ſoll, will ich lieber unter
Leibes als Seelentrunckenen ſeyn. Betrun-
ckene verſtehen ſich untereinander; ſo auch
Schwaͤrmer. —
Paſtor. Durch den Koͤrper haben wir An-
ſchauung. Wer mit der Seele ſieht, iſt ein
Schwaͤrmer, ein Geiſterſeher. Ein Enthu-
ſiaſt iſt ein edler Phantaſt. Ein Phantaſt
glaubt etwas zu empfinden, was er ſich ein-
bildet. In ſo fern ſein Ideal ſein maximum,
das er ſich ohne Sinnen aus ſich ſelbſt dencket,
einen ruhmwuͤrdigen Gegenſtand trift, iſt’s
Enthuſiasmus. Ueber Schwaͤrmerey und
Sehe-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/512 |
Zitationshilfe: | Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/512>, abgerufen am 16.02.2025. |