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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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ten. Der Ort, wo dein Vater uns überfiel,
lieber Junge, ich glaub noch immer, du
magst mir so viel sagen als du wilst, der
hat viel zu deiner Abreise beigetragen! --
Der Tod sucht Ursach. Gott sey Danck noch
fünf Monat -- Was wimre ich Thörin, du
gehst hin um beständig bey mir zu seyn, um
Stroh zum Nestlein für uns zu hohlen --
Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und
denck, daß deine Sie auf dich wie eine von
den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir
dann und wann eine Taube mit einem Oel-
zweig. Wir müssen noch verabreden, wie
wirs mit den Briefen halten wollen! -- ich
kann dir nicht sagen wie mir ist! -- So
sind wir Menschen! wer stirbt gern, wenn er
gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben
kommen soll -- das letzte ist gewis. Leute,
die recht sehr fromm sind, müsten hier schon
wie dort seyn. Sie studiren die himmlische
Geographie, und sind im Himmel so, wie ich
in Gedancken auf all den Universitäten seyn
werde, wo du wircklich seyn wirst -- Wer
stirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent-
lich an dich schreibe, hab' ich dir noch nicht ge-
sagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht
sehen können; ich will sie unsre Mutter nen-

nen,
Q 5

ten. Der Ort, wo dein Vater uns uͤberfiel,
lieber Junge, ich glaub noch immer, du
magſt mir ſo viel ſagen als du wilſt, der
hat viel zu deiner Abreiſe beigetragen! —
Der Tod ſucht Urſach. Gott ſey Danck noch
fuͤnf Monat — Was wimre ich Thoͤrin, du
gehſt hin um beſtaͤndig bey mir zu ſeyn, um
Stroh zum Neſtlein fuͤr uns zu hohlen —
Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und
denck, daß deine Sie auf dich wie eine von
den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir
dann und wann eine Taube mit einem Oel-
zweig. Wir muͤſſen noch verabreden, wie
wirs mit den Briefen halten wollen! — ich
kann dir nicht ſagen wie mir iſt! — So
ſind wir Menſchen! wer ſtirbt gern, wenn er
gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben
kommen ſoll — das letzte iſt gewis. Leute,
die recht ſehr fromm ſind, muͤſten hier ſchon
wie dort ſeyn. Sie ſtudiren die himmliſche
Geographie, und ſind im Himmel ſo, wie ich
in Gedancken auf all den Univerſitaͤten ſeyn
werde, wo du wircklich ſeyn wirſt — Wer
ſtirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent-
lich an dich ſchreibe, hab’ ich dir noch nicht ge-
ſagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht
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nen,
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[247/0259] ten. Der Ort, wo dein Vater uns uͤberfiel, lieber Junge, ich glaub noch immer, du magſt mir ſo viel ſagen als du wilſt, der hat viel zu deiner Abreiſe beigetragen! — Der Tod ſucht Urſach. Gott ſey Danck noch fuͤnf Monat — Was wimre ich Thoͤrin, du gehſt hin um beſtaͤndig bey mir zu ſeyn, um Stroh zum Neſtlein fuͤr uns zu hohlen — Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und denck, daß deine Sie auf dich wie eine von den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir dann und wann eine Taube mit einem Oel- zweig. Wir muͤſſen noch verabreden, wie wirs mit den Briefen halten wollen! — ich kann dir nicht ſagen wie mir iſt! — So ſind wir Menſchen! wer ſtirbt gern, wenn er gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben kommen ſoll — das letzte iſt gewis. Leute, die recht ſehr fromm ſind, muͤſten hier ſchon wie dort ſeyn. Sie ſtudiren die himmliſche Geographie, und ſind im Himmel ſo, wie ich in Gedancken auf all den Univerſitaͤten ſeyn werde, wo du wircklich ſeyn wirſt — Wer ſtirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent- lich an dich ſchreibe, hab’ ich dir noch nicht ge- ſagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht ſehen koͤnnen; ich will ſie unſre Mutter nen- nen, Q 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/259>, abgerufen am 03.07.2024.