Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

mir geformt hätte -- Wie ich endlich mei-
nen Arm fallen ließ war's mir als wenn die
Welt fiel, so angst war mir. Wie ihr gewe-
sen da sie wieder ins gerade Geleise kam,
konnte sie nie angeben. Wir armen Kinder
der Natur! Ich sehe ein wie's dem Adam
zu Muth gewesen da er zum erstenmal inne
worden, er sey nackt. Wer nicht empfin-
den kann was Minchen und ich empfunden,
thue mir den Gefallen und lese nicht weiter -
Ich glaub' ich werde den Eindruck nie ver-
lieren, und hab' ich ihn gleich nach der Zeit
nicht so starck empfunden; war es mir doch
so oft ich daran gedachte, als ständ' ich mit
Minchen im Wäldchen -- Ich empfands,
die Nachtigallen schwiegen, und alles was
eben wachsen wolte machte Stillstand und sah
uns an -- Mein Vater war in der nemli-
chen Verlegenheit und hielt mit uns völlig
das Gleichgewicht. Entweder wolt' er sich
heraushelfen oder er wußte nicht was er sagte.
Ist der Herr Vater nicht hier? wendete er
sich zu Minchen und sie "Nein er ist auch
nicht hier gewesen" kann was unschuldigeres
auf die Frage ist der Herr Vater nicht hier?
geantwortet werden? als nein er ist auch
nicht hier gewesen. Das war kein Feigen-

blatt
O 5

mir geformt haͤtte — Wie ich endlich mei-
nen Arm fallen ließ war’s mir als wenn die
Welt fiel, ſo angſt war mir. Wie ihr gewe-
ſen da ſie wieder ins gerade Geleiſe kam,
konnte ſie nie angeben. Wir armen Kinder
der Natur! Ich ſehe ein wie’s dem Adam
zu Muth geweſen da er zum erſtenmal inne
worden, er ſey nackt. Wer nicht empfin-
den kann was Minchen und ich empfunden,
thue mir den Gefallen und leſe nicht weiter ‒
Ich glaub’ ich werde den Eindruck nie ver-
lieren, und hab’ ich ihn gleich nach der Zeit
nicht ſo ſtarck empfunden; war es mir doch
ſo oft ich daran gedachte, als ſtaͤnd’ ich mit
Minchen im Waͤldchen — Ich empfands,
die Nachtigallen ſchwiegen, und alles was
eben wachſen wolte machte Stillſtand und ſah
uns an — Mein Vater war in der nemli-
chen Verlegenheit und hielt mit uns voͤllig
das Gleichgewicht. Entweder wolt’ er ſich
heraushelfen oder er wußte nicht was er ſagte.
Iſt der Herr Vater nicht hier? wendete er
ſich zu Minchen und ſie „Nein er iſt auch
nicht hier geweſen„ kann was unſchuldigeres
auf die Frage iſt der Herr Vater nicht hier?
geantwortet werden? als nein er iſt auch
nicht hier geweſen. Das war kein Feigen-

blatt
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="215"/>
mir geformt ha&#x0364;tte &#x2014; Wie ich endlich mei-<lb/>
nen Arm fallen ließ war&#x2019;s mir als wenn die<lb/>
Welt fiel, &#x017F;o ang&#x017F;t war mir. Wie ihr gewe-<lb/>
&#x017F;en da &#x017F;ie wieder ins gerade Gelei&#x017F;e kam,<lb/>
konnte &#x017F;ie nie angeben. Wir armen Kinder<lb/>
der Natur! Ich &#x017F;ehe ein wie&#x2019;s dem Adam<lb/>
zu Muth gewe&#x017F;en da er zum er&#x017F;tenmal inne<lb/>
worden, er &#x017F;ey nackt. Wer nicht empfin-<lb/>
den kann was Minchen und ich empfunden,<lb/>
thue mir den Gefallen und le&#x017F;e nicht weiter &#x2012;<lb/>
Ich glaub&#x2019; ich werde den Eindruck nie ver-<lb/>
lieren, und hab&#x2019; ich ihn gleich nach der Zeit<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;tarck empfunden; war es mir doch<lb/>
&#x017F;o oft ich daran gedachte, als &#x017F;ta&#x0364;nd&#x2019; ich mit<lb/>
Minchen im Wa&#x0364;ldchen &#x2014; Ich empfands,<lb/>
die Nachtigallen &#x017F;chwiegen, und alles was<lb/>
eben wach&#x017F;en wolte machte Still&#x017F;tand und &#x017F;ah<lb/>
uns an &#x2014; Mein Vater war in der nemli-<lb/>
chen Verlegenheit und hielt mit uns vo&#x0364;llig<lb/>
das Gleichgewicht. Entweder wolt&#x2019; er &#x017F;ich<lb/>
heraushelfen oder er wußte nicht was er &#x017F;agte.<lb/>
I&#x017F;t der Herr Vater nicht hier? wendete er<lb/>
&#x017F;ich zu Minchen und &#x017F;ie &#x201E;Nein er i&#x017F;t auch<lb/>
nicht hier gewe&#x017F;en&#x201E; kann was un&#x017F;chuldigeres<lb/>
auf die Frage i&#x017F;t der Herr Vater nicht hier?<lb/>
geantwortet werden? als nein er i&#x017F;t auch<lb/>
nicht hier gewe&#x017F;en. Das war kein Feigen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">blatt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0225] mir geformt haͤtte — Wie ich endlich mei- nen Arm fallen ließ war’s mir als wenn die Welt fiel, ſo angſt war mir. Wie ihr gewe- ſen da ſie wieder ins gerade Geleiſe kam, konnte ſie nie angeben. Wir armen Kinder der Natur! Ich ſehe ein wie’s dem Adam zu Muth geweſen da er zum erſtenmal inne worden, er ſey nackt. Wer nicht empfin- den kann was Minchen und ich empfunden, thue mir den Gefallen und leſe nicht weiter ‒ Ich glaub’ ich werde den Eindruck nie ver- lieren, und hab’ ich ihn gleich nach der Zeit nicht ſo ſtarck empfunden; war es mir doch ſo oft ich daran gedachte, als ſtaͤnd’ ich mit Minchen im Waͤldchen — Ich empfands, die Nachtigallen ſchwiegen, und alles was eben wachſen wolte machte Stillſtand und ſah uns an — Mein Vater war in der nemli- chen Verlegenheit und hielt mit uns voͤllig das Gleichgewicht. Entweder wolt’ er ſich heraushelfen oder er wußte nicht was er ſagte. Iſt der Herr Vater nicht hier? wendete er ſich zu Minchen und ſie „Nein er iſt auch nicht hier geweſen„ kann was unſchuldigeres auf die Frage iſt der Herr Vater nicht hier? geantwortet werden? als nein er iſt auch nicht hier geweſen. Das war kein Feigen- blatt O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/225
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/225>, abgerufen am 23.11.2024.