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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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ziren zu gehen und nichts war mir angeneh-
mer als wenn ihre natürlich schöne Stimme
die Nachtigallen zum Concert aufforderte und
wenn sie von den Vögeln des Himmels
accompagniret wurde. Hätte sie bey einem
Italiener Stunden genommen; keine Nach-
tigall hätte sich mit ihr eingelassen. Jetzt
sang die ganze Natur mit, weil sich gleich
und gleich gesellte und ihr Gesang Natur
war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie
war mein. Mein Auge sagte laut Ewig
mein und das ihrige antwortete Ewig dein -
In dieser Stellung und während diesem Au-
gengespräch und dem Concert das die Natur
dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz.
Ich hatt' ihn sonst nie in diesem Wäldchen
begegnet. Mich zu belauschen hatt' er nicht
angelegt, das weiß ich. Da stunden wir
und sahen uns an. Lang hielt ich meinen
Arm wie um ihren Hals. Sie zog sich aus
der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm
noch immer in der Höhe als ob er ihren Hals
hätte, und sie -- die der liebe Gott so him-
melan gebildet hatte stand wie mich dünckt
noch immer so von der Seite so übergebogen
so angeschmiegt als ob sie noch nicht auf
freiem Fuß wäre; oder als ob sie sich nach

mir

ziren zu gehen und nichts war mir angeneh-
mer als wenn ihre natuͤrlich ſchoͤne Stimme
die Nachtigallen zum Concert aufforderte und
wenn ſie von den Voͤgeln des Himmels
accompagniret wurde. Haͤtte ſie bey einem
Italiener Stunden genommen; keine Nach-
tigall haͤtte ſich mit ihr eingelaſſen. Jetzt
ſang die ganze Natur mit, weil ſich gleich
und gleich geſellte und ihr Geſang Natur
war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie
war mein. Mein Auge ſagte laut Ewig
mein und das ihrige antwortete Ewig dein ‒
In dieſer Stellung und waͤhrend dieſem Au-
gengeſpraͤch und dem Concert das die Natur
dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz.
Ich hatt’ ihn ſonſt nie in dieſem Waͤldchen
begegnet. Mich zu belauſchen hatt’ er nicht
angelegt, das weiß ich. Da ſtunden wir
und ſahen uns an. Lang hielt ich meinen
Arm wie um ihren Hals. Sie zog ſich aus
der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm
noch immer in der Hoͤhe als ob er ihren Hals
haͤtte, und ſie — die der liebe Gott ſo him-
melan gebildet hatte ſtand wie mich duͤnckt
noch immer ſo von der Seite ſo uͤbergebogen
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[214/0222] ziren zu gehen und nichts war mir angeneh- mer als wenn ihre natuͤrlich ſchoͤne Stimme die Nachtigallen zum Concert aufforderte und wenn ſie von den Voͤgeln des Himmels accompagniret wurde. Haͤtte ſie bey einem Italiener Stunden genommen; keine Nach- tigall haͤtte ſich mit ihr eingelaſſen. Jetzt ſang die ganze Natur mit, weil ſich gleich und gleich geſellte und ihr Geſang Natur war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie war mein. Mein Auge ſagte laut Ewig mein und das ihrige antwortete Ewig dein ‒ In dieſer Stellung und waͤhrend dieſem Au- gengeſpraͤch und dem Concert das die Natur dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz. Ich hatt’ ihn ſonſt nie in dieſem Waͤldchen begegnet. Mich zu belauſchen hatt’ er nicht angelegt, das weiß ich. Da ſtunden wir und ſahen uns an. Lang hielt ich meinen Arm wie um ihren Hals. Sie zog ſich aus der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm noch immer in der Hoͤhe als ob er ihren Hals haͤtte, und ſie — die der liebe Gott ſo him- melan gebildet hatte ſtand wie mich duͤnckt noch immer ſo von der Seite ſo uͤbergebogen ſo angeſchmiegt als ob ſie noch nicht auf freiem Fuß waͤre; oder als ob ſie ſich nach mir

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/222>, abgerufen am 18.05.2024.