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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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beide sagten mir aber kein Wort: Meine Mut-
ter weil sie es für unmöglich hielt daß die Liebe
des Sohns eines Literatus des Anverwandten
Paul Einhorns und Alexander Einhorns des
zweyten curschen Superintendenten Wurzel
fassen könne wenn er die Tochter eines Töpfers
der zugleich Schuster und Schneider ist, liebt.
Mein Vater weil er wegzusehen sich ver-
pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein
gänzliches kindliches Vertrauen; Minchen
nahm er aus. Wie richtig ist Regel und
Ausnahme! kann man nicht das Recht ler-
nen ehe man Recht spricht. Lehrt Eltern
eure Kinder wählen, eh die Natur sie lieben
lehrt. Es ist eine unüberdachte Behauptung,
daß Söhne kein Geheimnis (die Liebe nicht
ausgenommen) vor ihren Eltern haben sol-
len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt
seinen Söhnen im Lügen Unterricht. Der
Sohn der fühlt er könne Vater werden ist
von der Natur emancipirt, er hat in die-
sem Stück keinen Vater mehr. Töchter be-
halten Vater und Mutter bis sie einem zu-
Theil werden, dem sie als ein heiliges De-
pot überliefert werden müßen.

Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit
Minchen in ein benachbartes Wäldchen spa-

ziren
O 4

beide ſagten mir aber kein Wort: Meine Mut-
ter weil ſie es fuͤr unmoͤglich hielt daß die Liebe
des Sohns eines Literatus des Anverwandten
Paul Einhorns und Alexander Einhorns des
zweyten curſchen Superintendenten Wurzel
faſſen koͤnne wenn er die Tochter eines Toͤpfers
der zugleich Schuſter und Schneider iſt, liebt.
Mein Vater weil er wegzuſehen ſich ver-
pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein
gaͤnzliches kindliches Vertrauen; Minchen
nahm er aus. Wie richtig iſt Regel und
Ausnahme! kann man nicht das Recht ler-
nen ehe man Recht ſpricht. Lehrt Eltern
eure Kinder waͤhlen, eh die Natur ſie lieben
lehrt. Es iſt eine unuͤberdachte Behauptung,
daß Soͤhne kein Geheimnis (die Liebe nicht
ausgenommen) vor ihren Eltern haben ſol-
len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt
ſeinen Soͤhnen im Luͤgen Unterricht. Der
Sohn der fuͤhlt er koͤnne Vater werden iſt
von der Natur emancipirt, er hat in die-
ſem Stuͤck keinen Vater mehr. Toͤchter be-
halten Vater und Mutter bis ſie einem zu-
Theil werden, dem ſie als ein heiliges De-
pot uͤberliefert werden muͤßen.

Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit
Minchen in ein benachbartes Waͤldchen ſpa-

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[213/0221] beide ſagten mir aber kein Wort: Meine Mut- ter weil ſie es fuͤr unmoͤglich hielt daß die Liebe des Sohns eines Literatus des Anverwandten Paul Einhorns und Alexander Einhorns des zweyten curſchen Superintendenten Wurzel faſſen koͤnne wenn er die Tochter eines Toͤpfers der zugleich Schuſter und Schneider iſt, liebt. Mein Vater weil er wegzuſehen ſich ver- pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein gaͤnzliches kindliches Vertrauen; Minchen nahm er aus. Wie richtig iſt Regel und Ausnahme! kann man nicht das Recht ler- nen ehe man Recht ſpricht. Lehrt Eltern eure Kinder waͤhlen, eh die Natur ſie lieben lehrt. Es iſt eine unuͤberdachte Behauptung, daß Soͤhne kein Geheimnis (die Liebe nicht ausgenommen) vor ihren Eltern haben ſol- len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt ſeinen Soͤhnen im Luͤgen Unterricht. Der Sohn der fuͤhlt er koͤnne Vater werden iſt von der Natur emancipirt, er hat in die- ſem Stuͤck keinen Vater mehr. Toͤchter be- halten Vater und Mutter bis ſie einem zu- Theil werden, dem ſie als ein heiliges De- pot uͤberliefert werden muͤßen. Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit Minchen in ein benachbartes Waͤldchen ſpa- ziren O 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/221>, abgerufen am 18.05.2024.