Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Tag. Und jetzt sag, wo der geistliche Herr schläft. Ich habe keine Minute übrig. Sie nahm das Lämpchen mit demüthigem Stillschweigen vom Herd und ging ihm voran, durch den reinlichen Flur, von dessen weißgetünchten Wänden ein paar uralte braune Heiligenfiguren, die der Tüncher geschont hatte, aus traurigen langgeschlitzten Augen auf sie herab sahen. Eine enge Steintreppe lies hinauf zu den oberen Räumen; Alles war durchduftet von dem Geruch schöner reifer Aepfel, die droben im Winkel aufgeschichtet lagen. Eine alte Wanduhr pickte mit hartem Pendelschlag und die Mäuse tiefen, durch die nahenden Schritte aufgeschreckt, kollernd und raspelnd in ihre Schlupflöcher zurück. Hier! sagte das Mädchen, auf eine große alterthümliche Thür zeigend. Sie gab dem Jüngling die Lampe in die Hand und blieb draußen im Hausgang stehn, bis er eingetreten war. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, das Ohr ans Schlüsselloch zu legen. Dann schüttelte sie traurig den Kopf und schlich die Stufen wieder hinab in die öde Küche, zu warten, bis er wieder käme. Er aber stand droben eine ganze Weile in dem ungeheuren, rings mit dunklem Holz ausgetäfelten Saal, wo in einer Nische dem geistlichen Herrn ein Bett bereitet war, und konnte sich nicht entschließen, den friedlich Schlafenden zu wecken. Zum ersten Tag. Und jetzt sag, wo der geistliche Herr schläft. Ich habe keine Minute übrig. Sie nahm das Lämpchen mit demüthigem Stillschweigen vom Herd und ging ihm voran, durch den reinlichen Flur, von dessen weißgetünchten Wänden ein paar uralte braune Heiligenfiguren, die der Tüncher geschont hatte, aus traurigen langgeschlitzten Augen auf sie herab sahen. Eine enge Steintreppe lies hinauf zu den oberen Räumen; Alles war durchduftet von dem Geruch schöner reifer Aepfel, die droben im Winkel aufgeschichtet lagen. Eine alte Wanduhr pickte mit hartem Pendelschlag und die Mäuse tiefen, durch die nahenden Schritte aufgeschreckt, kollernd und raspelnd in ihre Schlupflöcher zurück. Hier! sagte das Mädchen, auf eine große alterthümliche Thür zeigend. Sie gab dem Jüngling die Lampe in die Hand und blieb draußen im Hausgang stehn, bis er eingetreten war. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, das Ohr ans Schlüsselloch zu legen. Dann schüttelte sie traurig den Kopf und schlich die Stufen wieder hinab in die öde Küche, zu warten, bis er wieder käme. Er aber stand droben eine ganze Weile in dem ungeheuren, rings mit dunklem Holz ausgetäfelten Saal, wo in einer Nische dem geistlichen Herrn ein Bett bereitet war, und konnte sich nicht entschließen, den friedlich Schlafenden zu wecken. Zum ersten <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0071"/> Tag. Und jetzt sag, wo der geistliche Herr schläft. Ich habe keine Minute übrig.</p><lb/> <p>Sie nahm das Lämpchen mit demüthigem Stillschweigen vom Herd und ging ihm voran, durch den reinlichen Flur, von dessen weißgetünchten Wänden ein paar uralte braune Heiligenfiguren, die der Tüncher geschont hatte, aus traurigen langgeschlitzten Augen auf sie herab sahen. Eine enge Steintreppe lies hinauf zu den oberen Räumen; Alles war durchduftet von dem Geruch schöner reifer Aepfel, die droben im Winkel aufgeschichtet lagen. Eine alte Wanduhr pickte mit hartem Pendelschlag und die Mäuse tiefen, durch die nahenden Schritte aufgeschreckt, kollernd und raspelnd in ihre Schlupflöcher zurück.</p><lb/> <p>Hier! sagte das Mädchen, auf eine große alterthümliche Thür zeigend. Sie gab dem Jüngling die Lampe in die Hand und blieb draußen im Hausgang stehn, bis er eingetreten war. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, das Ohr ans Schlüsselloch zu legen. Dann schüttelte sie traurig den Kopf und schlich die Stufen wieder hinab in die öde Küche, zu warten, bis er wieder käme.</p><lb/> <p>Er aber stand droben eine ganze Weile in dem ungeheuren, rings mit dunklem Holz ausgetäfelten Saal, wo in einer Nische dem geistlichen Herrn ein Bett bereitet war, und konnte sich nicht entschließen, den friedlich Schlafenden zu wecken. Zum ersten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
Tag. Und jetzt sag, wo der geistliche Herr schläft. Ich habe keine Minute übrig.
Sie nahm das Lämpchen mit demüthigem Stillschweigen vom Herd und ging ihm voran, durch den reinlichen Flur, von dessen weißgetünchten Wänden ein paar uralte braune Heiligenfiguren, die der Tüncher geschont hatte, aus traurigen langgeschlitzten Augen auf sie herab sahen. Eine enge Steintreppe lies hinauf zu den oberen Räumen; Alles war durchduftet von dem Geruch schöner reifer Aepfel, die droben im Winkel aufgeschichtet lagen. Eine alte Wanduhr pickte mit hartem Pendelschlag und die Mäuse tiefen, durch die nahenden Schritte aufgeschreckt, kollernd und raspelnd in ihre Schlupflöcher zurück.
Hier! sagte das Mädchen, auf eine große alterthümliche Thür zeigend. Sie gab dem Jüngling die Lampe in die Hand und blieb draußen im Hausgang stehn, bis er eingetreten war. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, das Ohr ans Schlüsselloch zu legen. Dann schüttelte sie traurig den Kopf und schlich die Stufen wieder hinab in die öde Küche, zu warten, bis er wieder käme.
Er aber stand droben eine ganze Weile in dem ungeheuren, rings mit dunklem Holz ausgetäfelten Saal, wo in einer Nische dem geistlichen Herrn ein Bett bereitet war, und konnte sich nicht entschließen, den friedlich Schlafenden zu wecken. Zum ersten
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/71>, abgerufen am 16.02.2025. |