Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

wurden, über sie zu weinen. Nur in dieser Nacht vergossen sie keine Thräne; sie leuchteten vielmehr von einem schönen Heldenmuth, der das ganze Gesicht wunderbar verjüngte, die Wangen röthete und auch jetzt, da sie durch den Morgen hinschritt, ihren Gang jugendlich beflügelte, daß die Junge der Alten nur mit Mühe zur Seite bleiben konnte.

Es lag aber ein Nebel über den Thälern der Naif und Passer, daß sie wie in einer Wolke wandelten und drüben den Küchelberg und die Trümmer der alten Zenoburg nur mit den obersten Zinnen über den Dunst heraufragen sahen. Noch immer klang das Geläut und dazwischen das Tosen der Passer, und auf den vielen Fußpfaden links und rechts hörten sie Kirchgänger, die ihnen im Nebelduft unsichtbar blieben, eifrig mit einander reden und dann und wann die beiden Namen nennen, die ihnen das Herz klopfen machten. Unten am steinernen Steg war es bereits lebhaft von Männern und Weibern, die ehrfurchtsvoll grüßten, als die Anna Hirzer, die Heilige, in ungewohnter Hast durch sie hindurchschritt. Auch standen Alle still und steckten die Köpfe zusammen. Denn die Alte wandelte nicht wie sonst mit dem Strome der Uebrigen links durch das graue Stadtthor der Kirche zu, sondern man sah sie in die steile Straße zur Rechten einbiegen, die auf den Küchelberg führt. Viele gingen ihr nach, zumal die Straße ungewöhnlich belebt war, als seien droben wundersame Dinge

wurden, über sie zu weinen. Nur in dieser Nacht vergossen sie keine Thräne; sie leuchteten vielmehr von einem schönen Heldenmuth, der das ganze Gesicht wunderbar verjüngte, die Wangen röthete und auch jetzt, da sie durch den Morgen hinschritt, ihren Gang jugendlich beflügelte, daß die Junge der Alten nur mit Mühe zur Seite bleiben konnte.

Es lag aber ein Nebel über den Thälern der Naif und Passer, daß sie wie in einer Wolke wandelten und drüben den Küchelberg und die Trümmer der alten Zenoburg nur mit den obersten Zinnen über den Dunst heraufragen sahen. Noch immer klang das Geläut und dazwischen das Tosen der Passer, und auf den vielen Fußpfaden links und rechts hörten sie Kirchgänger, die ihnen im Nebelduft unsichtbar blieben, eifrig mit einander reden und dann und wann die beiden Namen nennen, die ihnen das Herz klopfen machten. Unten am steinernen Steg war es bereits lebhaft von Männern und Weibern, die ehrfurchtsvoll grüßten, als die Anna Hirzer, die Heilige, in ungewohnter Hast durch sie hindurchschritt. Auch standen Alle still und steckten die Köpfe zusammen. Denn die Alte wandelte nicht wie sonst mit dem Strome der Uebrigen links durch das graue Stadtthor der Kirche zu, sondern man sah sie in die steile Straße zur Rechten einbiegen, die auf den Küchelberg führt. Viele gingen ihr nach, zumal die Straße ungewöhnlich belebt war, als seien droben wundersame Dinge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0140"/>
wurden, über sie zu weinen. Nur in dieser Nacht vergossen sie keine     Thräne; sie leuchteten vielmehr von einem schönen Heldenmuth, der das ganze Gesicht wunderbar     verjüngte, die Wangen röthete und auch jetzt, da sie durch den Morgen hinschritt, ihren Gang     jugendlich beflügelte, daß die Junge der Alten nur mit Mühe zur Seite bleiben konnte.</p><lb/>
        <p>Es lag aber ein Nebel über den Thälern der Naif und Passer, daß sie wie in einer Wolke     wandelten und drüben den Küchelberg und die Trümmer der alten Zenoburg nur mit den obersten     Zinnen über den Dunst heraufragen sahen. Noch immer klang das Geläut und dazwischen das Tosen     der Passer, und auf den vielen Fußpfaden links und rechts hörten sie Kirchgänger, die ihnen im     Nebelduft unsichtbar blieben, eifrig mit einander reden und dann und wann die beiden Namen     nennen, die ihnen das Herz klopfen machten. Unten am steinernen Steg war es bereits lebhaft von     Männern und Weibern, die ehrfurchtsvoll grüßten, als die Anna Hirzer, die Heilige, in     ungewohnter Hast durch sie hindurchschritt. Auch standen Alle still und steckten die Köpfe     zusammen. Denn die Alte wandelte nicht wie sonst mit dem Strome der Uebrigen links durch das     graue Stadtthor der Kirche zu, sondern man sah sie in die steile Straße zur Rechten einbiegen,     die auf den Küchelberg führt. Viele gingen ihr nach, zumal die Straße ungewöhnlich belebt war,     als seien droben wundersame Dinge<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] wurden, über sie zu weinen. Nur in dieser Nacht vergossen sie keine Thräne; sie leuchteten vielmehr von einem schönen Heldenmuth, der das ganze Gesicht wunderbar verjüngte, die Wangen röthete und auch jetzt, da sie durch den Morgen hinschritt, ihren Gang jugendlich beflügelte, daß die Junge der Alten nur mit Mühe zur Seite bleiben konnte. Es lag aber ein Nebel über den Thälern der Naif und Passer, daß sie wie in einer Wolke wandelten und drüben den Küchelberg und die Trümmer der alten Zenoburg nur mit den obersten Zinnen über den Dunst heraufragen sahen. Noch immer klang das Geläut und dazwischen das Tosen der Passer, und auf den vielen Fußpfaden links und rechts hörten sie Kirchgänger, die ihnen im Nebelduft unsichtbar blieben, eifrig mit einander reden und dann und wann die beiden Namen nennen, die ihnen das Herz klopfen machten. Unten am steinernen Steg war es bereits lebhaft von Männern und Weibern, die ehrfurchtsvoll grüßten, als die Anna Hirzer, die Heilige, in ungewohnter Hast durch sie hindurchschritt. Auch standen Alle still und steckten die Köpfe zusammen. Denn die Alte wandelte nicht wie sonst mit dem Strome der Uebrigen links durch das graue Stadtthor der Kirche zu, sondern man sah sie in die steile Straße zur Rechten einbiegen, die auf den Küchelberg führt. Viele gingen ihr nach, zumal die Straße ungewöhnlich belebt war, als seien droben wundersame Dinge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/140
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/140>, abgerufen am 22.11.2024.