Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim Herrn Decan ein Geschäft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, daß ich gesagt hätt', es wird noch Alles gut. Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig küßte, und stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich entschließen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er droben in der Pfarrwohnung an. Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden, hat er Niemand verrathen wollen. Als er aber eine Viertelstunde später wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafür eingetreten. Er seufzte oft, während er die rauhe Straße zum Küchelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Häuschen liegen sah, aus dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein dämmerte, seufzte er noch stärker und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht allein lasten in ihrem Unglück, und so öffnete er ohne anzuklopfen die niedrige Thür und trat über die wohlbekannte Schwelle. Er fand das junge Paar in der Küche, wo die Mutter gestorben war; der Andree stand am Herd sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim Herrn Decan ein Geschäft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, daß ich gesagt hätt', es wird noch Alles gut. Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig küßte, und stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich entschließen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er droben in der Pfarrwohnung an. Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden, hat er Niemand verrathen wollen. Als er aber eine Viertelstunde später wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafür eingetreten. Er seufzte oft, während er die rauhe Straße zum Küchelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Häuschen liegen sah, aus dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein dämmerte, seufzte er noch stärker und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht allein lasten in ihrem Unglück, und so öffnete er ohne anzuklopfen die niedrige Thür und trat über die wohlbekannte Schwelle. Er fand das junge Paar in der Küche, wo die Mutter gestorben war; der Andree stand am Herd <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0123"/> sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim Herrn Decan ein Geschäft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, daß ich gesagt hätt', es wird noch Alles gut.</p><lb/> <p>Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig küßte, und stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich entschließen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er droben in der Pfarrwohnung an.</p><lb/> <p>Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden, hat er Niemand verrathen wollen. Als er aber eine Viertelstunde später wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafür eingetreten. Er seufzte oft, während er die rauhe Straße zum Küchelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Häuschen liegen sah, aus dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein dämmerte, seufzte er noch stärker und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht allein lasten in ihrem Unglück, und so öffnete er ohne anzuklopfen die niedrige Thür und trat über die wohlbekannte Schwelle.</p><lb/> <p>Er fand das junge Paar in der Küche, wo die Mutter gestorben war; der Andree stand am Herd<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim Herrn Decan ein Geschäft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, daß ich gesagt hätt', es wird noch Alles gut.
Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig küßte, und stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich entschließen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er droben in der Pfarrwohnung an.
Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden, hat er Niemand verrathen wollen. Als er aber eine Viertelstunde später wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafür eingetreten. Er seufzte oft, während er die rauhe Straße zum Küchelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Häuschen liegen sah, aus dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein dämmerte, seufzte er noch stärker und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht allein lasten in ihrem Unglück, und so öffnete er ohne anzuklopfen die niedrige Thür und trat über die wohlbekannte Schwelle.
Er fand das junge Paar in der Küche, wo die Mutter gestorben war; der Andree stand am Herd
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/123>, abgerufen am 16.02.2025. |