Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sagt' ich ihm, eine Kokette. Jetzt hat sie sich an mich
gemacht. Wir aber wissen sie zu nehmen, und wer¬
den uns nicht das Maul verbinden lassen, damit nicht
andere gute Jungen in dieselbe Schlinge rennen."

"Nimm dies Wort zurück," schrie Clemens außer
sich und schüttelte heftig Wolf's Arm.

"Warum? Es ist die Wahrheit, und ich will sie
noch beweisen. Geh, du bist ein Kind von einem
Menschen."

"Und du bist ein Lump von einem Teufel."

"Oho, nun kommt die Reihe an dich zu wider¬
rufen!"

"Ich widerrufe nicht."

"So weißt du, was die Folge ist. Du hörst von
mir, sobald wir in der Stadt sind."

Damit ging er kaltblütig von ihm, dem Dorfe
zu. Clemens blieb eine Weile wo er stand. "Der
Elende!" brach es von seinen Lippen. Seine Brust
arbeitete heftig, ein bitterlicher Schmerz nistete in
ihr; er warf sich zwischen den Aehren zu Boden und
lag lange, jedes Wort, das ihn empört hatte, tau¬
sendmal wiederholend.

Als er spät am Abend in das Haus zurückkehrte,
fand er gegen seine Erwartung die Familie noch bei¬
sammen.

Wolf fehlte. Der alte Herr ging mit starken
Schritten durch das Zimmer; die Mutter und Mar¬

ſagt' ich ihm, eine Kokette. Jetzt hat ſie ſich an mich
gemacht. Wir aber wiſſen ſie zu nehmen, und wer¬
den uns nicht das Maul verbinden laſſen, damit nicht
andere gute Jungen in dieſelbe Schlinge rennen.“

„Nimm dies Wort zurück,“ ſchrie Clemens außer
ſich und ſchüttelte heftig Wolf's Arm.

„Warum? Es iſt die Wahrheit, und ich will ſie
noch beweiſen. Geh, du biſt ein Kind von einem
Menſchen.“

„Und du biſt ein Lump von einem Teufel.“

„Oho, nun kommt die Reihe an dich zu wider¬
rufen!“

„Ich widerrufe nicht.“

„So weißt du, was die Folge iſt. Du hörſt von
mir, ſobald wir in der Stadt ſind.“

Damit ging er kaltblütig von ihm, dem Dorfe
zu. Clemens blieb eine Weile wo er ſtand. „Der
Elende!“ brach es von ſeinen Lippen. Seine Bruſt
arbeitete heftig, ein bitterlicher Schmerz niſtete in
ihr; er warf ſich zwiſchen den Aehren zu Boden und
lag lange, jedes Wort, das ihn empört hatte, tau¬
ſendmal wiederholend.

Als er ſpät am Abend in das Haus zurückkehrte,
fand er gegen ſeine Erwartung die Familie noch bei¬
ſammen.

Wolf fehlte. Der alte Herr ging mit ſtarken
Schritten durch das Zimmer; die Mutter und Mar¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="60"/>
&#x017F;agt' ich ihm, eine Kokette. Jetzt hat &#x017F;ie &#x017F;ich an mich<lb/>
gemacht. Wir aber wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie zu nehmen, und wer¬<lb/>
den uns nicht das Maul verbinden la&#x017F;&#x017F;en, damit nicht<lb/>
andere gute Jungen in die&#x017F;elbe Schlinge rennen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nimm dies Wort zurück,&#x201C; &#x017F;chrie Clemens außer<lb/>
&#x017F;ich und &#x017F;chüttelte heftig Wolf's Arm.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Warum? Es i&#x017F;t die Wahrheit, und ich will &#x017F;ie<lb/>
noch bewei&#x017F;en. Geh, du bi&#x017F;t ein Kind von einem<lb/>
Men&#x017F;chen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und du bi&#x017F;t ein Lump von einem Teufel.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Oho, nun kommt die Reihe an dich zu wider¬<lb/>
rufen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich widerrufe nicht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So weißt du, was die Folge i&#x017F;t. Du hör&#x017F;t von<lb/>
mir, &#x017F;obald wir in der Stadt &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Damit ging er kaltblütig von ihm, dem Dorfe<lb/>
zu. Clemens blieb eine Weile wo er &#x017F;tand. &#x201E;Der<lb/>
Elende!&#x201C; brach es von &#x017F;einen Lippen. Seine Bru&#x017F;t<lb/>
arbeitete heftig, ein bitterlicher Schmerz ni&#x017F;tete in<lb/>
ihr; er warf &#x017F;ich zwi&#x017F;chen den Aehren zu Boden und<lb/>
lag lange, jedes Wort, das ihn empört hatte, tau¬<lb/>
&#x017F;endmal wiederholend.</p><lb/>
          <p>Als er &#x017F;pät am Abend in das Haus zurückkehrte,<lb/>
fand er gegen &#x017F;eine Erwartung die Familie noch bei¬<lb/>
&#x017F;ammen.</p><lb/>
          <p>Wolf fehlte. Der alte Herr ging mit &#x017F;tarken<lb/>
Schritten durch das Zimmer; die Mutter und Mar¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0072] ſagt' ich ihm, eine Kokette. Jetzt hat ſie ſich an mich gemacht. Wir aber wiſſen ſie zu nehmen, und wer¬ den uns nicht das Maul verbinden laſſen, damit nicht andere gute Jungen in dieſelbe Schlinge rennen.“ „Nimm dies Wort zurück,“ ſchrie Clemens außer ſich und ſchüttelte heftig Wolf's Arm. „Warum? Es iſt die Wahrheit, und ich will ſie noch beweiſen. Geh, du biſt ein Kind von einem Menſchen.“ „Und du biſt ein Lump von einem Teufel.“ „Oho, nun kommt die Reihe an dich zu wider¬ rufen!“ „Ich widerrufe nicht.“ „So weißt du, was die Folge iſt. Du hörſt von mir, ſobald wir in der Stadt ſind.“ Damit ging er kaltblütig von ihm, dem Dorfe zu. Clemens blieb eine Weile wo er ſtand. „Der Elende!“ brach es von ſeinen Lippen. Seine Bruſt arbeitete heftig, ein bitterlicher Schmerz niſtete in ihr; er warf ſich zwiſchen den Aehren zu Boden und lag lange, jedes Wort, das ihn empört hatte, tau¬ ſendmal wiederholend. Als er ſpät am Abend in das Haus zurückkehrte, fand er gegen ſeine Erwartung die Familie noch bei¬ ſammen. Wolf fehlte. Der alte Herr ging mit ſtarken Schritten durch das Zimmer; die Mutter und Mar¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/72
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/72>, abgerufen am 23.11.2024.