men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, setzte sich neben sie auf das Bänkchen und streichelte ihr Haar und Wangen wie sonst. Sie bat ihn einmal, er solle nicht so still sein. Wenn er ihr erzähle, wie die Welt sei und was er täglich mehr von ihr lerne, so fühle sie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht komme, so bleibe sie gar zu einsam. Sie erinnerte ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem Abend versprochen hatte, sie nie zu verlassen; denn sie hatte längst darauf verzichtet. Nun aber war es, als sei sie ihm doppelt lieb geworden, seit er ihr nichts mehr zu verschweigen hatte. Da floß ihm das Herz über und er erzählte ihr stundenlang von Sonne, Mond und den Gestirnen, von allen Blumen und Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und sie selbst aussähen. Sie bebte freudig bis ins innerste Herz, als er ihr unschuldig sagte, daß sie hübscher sei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beschrieb er sie, daß sie so schlank sei und einen feinen Kopf habe und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe sich nun auch gesehen, im Spiegel, aber er sei lange nicht so hübsch. Er brauch' es auch nicht, und es sei ihm gleichgiltig; wenn er nur ein gescheiter Mann werde. Männer seien überhaupt nicht so schön wie Frauen. Sie verstand das Alles nicht ganz; aber so viel begriff sie, daß sie ihm gefalle, und was wollte sie mehr?
men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal, er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es, als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne, Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo hübſch. Er brauch' es auch nicht, und es ſei ihm gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde. Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen. Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie mehr?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0036"n="24"/>
men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte<lb/>ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr<lb/>
Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal,<lb/>
er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die<lb/>
Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo<lb/>
fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht<lb/>
komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte<lb/>
ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem<lb/>
Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn<lb/>ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es,<lb/>
als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr<lb/>
nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das<lb/>
Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne,<lb/>
Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und<lb/>
Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie<lb/>ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte<lb/>
Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher<lb/>ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er<lb/>ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe<lb/>
und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun<lb/>
auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo<lb/>
hübſch. Er brauch' es auch nicht, und es ſei ihm<lb/>
gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde.<lb/>
Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen.<lb/>
Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel<lb/>
begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie<lb/>
mehr?</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[24/0036]
men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte
ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr
Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal,
er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die
Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo
fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht
komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte
ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem
Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn
ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es,
als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr
nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das
Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne,
Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und
Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie
ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte
Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher
ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er
ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe
und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun
auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo
hübſch. Er brauch' es auch nicht, und es ſei ihm
gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde.
Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen.
Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel
begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie
mehr?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/36>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.