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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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in der Kammer, denn das Bett der Mutter, die
sonst bei ihr geschlafen, war der Hitze wegen aus
dem engen Gemache wieder hinausgeschafft. Ueber¬
dies hielt man eine Nachthüterin nicht mehr für nö¬
thig, da das Fieber völlig geschwunden war. Und
gerade heute überkam es sie wieder und warf sie hin
und her, bis lange nach Mitternacht ein kurzer
dumpfer Schlaf sich ihrer erbarmte.

Indessen zog das Wetter, das die Hälfte der
Nacht murrend am Horizonte gekreis't hatte, mit Macht
herauf, lagerte sich über dem Wald und stand nun
still; denn der Wind schwieg. Ein heftiger Donner
schallt in Marlenens Schlummer hinein. Halbträu¬
mend fährt sie empor. Sie weiß nicht was sie sucht
und sinnt, in ungewisser Angst treibt es sie aufzu¬
stehen, ihre Kissen sind so heiß! Nun steht sie am
Bett und hört draußen den starken Regen nieder¬
rauschen. Aber er kühlt ihre fiebernde Stirne nicht.
Sie sucht sich zu fassen und zurecht zu finden und
findet in ihrer Seele nichts, als die traurigen Ge¬
danken, mit denen sie einschlief. Ein seltsamer Ent¬
schluß geht in ihr auf. Sie will hinein zu Clemens.
Auch er ist allein. Wer hindert sie, ihrer Ungewi߬
heit ein Ende zu machen und sich und ihn zu sehn?
Nur dies Eine denkt sie und alle Worte des Arztes
sind vergessen. So geht sie, ohne sich zu besinnen,
ganz wie sie ihr Bett verlassen, der Thüre zu, die

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in der Kammer, denn das Bett der Mutter, die
ſonſt bei ihr geſchlafen, war der Hitze wegen aus
dem engen Gemache wieder hinausgeſchafft. Ueber¬
dies hielt man eine Nachthüterin nicht mehr für nö¬
thig, da das Fieber völlig geſchwunden war. Und
gerade heute überkam es ſie wieder und warf ſie hin
und her, bis lange nach Mitternacht ein kurzer
dumpfer Schlaf ſich ihrer erbarmte.

Indeſſen zog das Wetter, das die Hälfte der
Nacht murrend am Horizonte gekreiſ't hatte, mit Macht
herauf, lagerte ſich über dem Wald und ſtand nun
ſtill; denn der Wind ſchwieg. Ein heftiger Donner
ſchallt in Marlenens Schlummer hinein. Halbträu¬
mend fährt ſie empor. Sie weiß nicht was ſie ſucht
und ſinnt, in ungewiſſer Angſt treibt es ſie aufzu¬
ſtehen, ihre Kiſſen ſind ſo heiß! Nun ſteht ſie am
Bett und hört draußen den ſtarken Regen nieder¬
rauſchen. Aber er kühlt ihre fiebernde Stirne nicht.
Sie ſucht ſich zu faſſen und zurecht zu finden und
findet in ihrer Seele nichts, als die traurigen Ge¬
danken, mit denen ſie einſchlief. Ein ſeltſamer Ent¬
ſchluß geht in ihr auf. Sie will hinein zu Clemens.
Auch er iſt allein. Wer hindert ſie, ihrer Ungewi߬
heit ein Ende zu machen und ſich und ihn zu ſehn?
Nur dies Eine denkt ſie und alle Worte des Arztes
ſind vergeſſen. So geht ſie, ohne ſich zu beſinnen,
ganz wie ſie ihr Bett verlaſſen, der Thüre zu, die

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[17/0029] in der Kammer, denn das Bett der Mutter, die ſonſt bei ihr geſchlafen, war der Hitze wegen aus dem engen Gemache wieder hinausgeſchafft. Ueber¬ dies hielt man eine Nachthüterin nicht mehr für nö¬ thig, da das Fieber völlig geſchwunden war. Und gerade heute überkam es ſie wieder und warf ſie hin und her, bis lange nach Mitternacht ein kurzer dumpfer Schlaf ſich ihrer erbarmte. Indeſſen zog das Wetter, das die Hälfte der Nacht murrend am Horizonte gekreiſ't hatte, mit Macht herauf, lagerte ſich über dem Wald und ſtand nun ſtill; denn der Wind ſchwieg. Ein heftiger Donner ſchallt in Marlenens Schlummer hinein. Halbträu¬ mend fährt ſie empor. Sie weiß nicht was ſie ſucht und ſinnt, in ungewiſſer Angſt treibt es ſie aufzu¬ ſtehen, ihre Kiſſen ſind ſo heiß! Nun ſteht ſie am Bett und hört draußen den ſtarken Regen nieder¬ rauſchen. Aber er kühlt ihre fiebernde Stirne nicht. Sie ſucht ſich zu faſſen und zurecht zu finden und findet in ihrer Seele nichts, als die traurigen Ge¬ danken, mit denen ſie einſchlief. Ein ſeltſamer Ent¬ ſchluß geht in ihr auf. Sie will hinein zu Clemens. Auch er iſt allein. Wer hindert ſie, ihrer Ungewi߬ heit ein Ende zu machen und ſich und ihn zu ſehn? Nur dies Eine denkt ſie und alle Worte des Arztes ſind vergeſſen. So geht ſie, ohne ſich zu beſinnen, ganz wie ſie ihr Bett verlaſſen, der Thüre zu, die 2

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/29>, abgerufen am 19.04.2024.