Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.Ich komme morgen und sehe nach Euch. Der Herr Sie ging rasch. Draußen begegnete sie Theodor, Zum ersten Mal fand er sie allein, in der fast Er geht drei Schritte auf und ab; er weiß nicht Ich komme morgen und ſehe nach Euch. Der Herr Sie ging raſch. Draußen begegnete ſie Theodor, Zum erſten Mal fand er ſie allein, in der faſt Er geht drei Schritte auf und ab; er weiß nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0214" n="202"/> Ich komme morgen und ſehe nach Euch. Der Herr<lb/> ſei mit Euch!</p><lb/> <p>Sie ging raſch. Draußen begegnete ſie Theodor,<lb/> der ſie faſt überrannte. Verzeihung! ſagte er, ein<lb/> Bräutigam, der zu ſeiner Braut geht, darf es ja<lb/> wohl eilig haben. Nicht wahr, liebe Miß Betſy?<lb/> — Er bemerkte die kalte Miene nicht, mit der ihm<lb/> entgegnet wurde: Ihr werdet Mary finden, in der<lb/> That ſie erwartet Euch nicht. Er verabſchiedete ſich<lb/> ſchnell und ſtürzte in das Zimmer.</p><lb/> <p>Zum erſten Mal fand er ſie allein, in der faſt<lb/> nächtlichen Dämmerung, am Fenſter ſtehend, die<lb/> Locken ganz um das Haupt aufgelöſ't. Er dankte im<lb/> Stillen inbrünſtig dem guten Glück, das ſo willig<lb/> ſchien, Alles auszugleichen. Leiſe tritt er heran; ſie<lb/> bewegt ſich nicht. Er ſchlingt den Arm um ihren<lb/> Leib und ruft ihren Namen. Sie fährt zuſammen<lb/> und wendet ſich um, und er ſieht es feucht in ihren<lb/> Augen ſchwimmen. Du weinſt, Marie, liebes theuer¬<lb/> ſtes Leben, du weinſt? ruft er und will ſie feſter an<lb/> ſich ziehen. Sie wehrt ihm, ohne zu antworten; ſie<lb/> drückt die Augen zu und zerdrückt die Tropfen und<lb/> ſchüttelt mit dem Kopf. Nein, ſagt ſie endlich, ich<lb/> weine nicht, laß! Es iſt vorbei, es iſt gut!</p><lb/> <p>Er geht drei Schritte auf und ab; er weiß nicht<lb/> wie ihm geſchehen, aber mit Einem Schlag iſt all<lb/> ſeine Freudigkeit gelähmt. Was haſt du, fragt er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [202/0214]
Ich komme morgen und ſehe nach Euch. Der Herr
ſei mit Euch!
Sie ging raſch. Draußen begegnete ſie Theodor,
der ſie faſt überrannte. Verzeihung! ſagte er, ein
Bräutigam, der zu ſeiner Braut geht, darf es ja
wohl eilig haben. Nicht wahr, liebe Miß Betſy?
— Er bemerkte die kalte Miene nicht, mit der ihm
entgegnet wurde: Ihr werdet Mary finden, in der
That ſie erwartet Euch nicht. Er verabſchiedete ſich
ſchnell und ſtürzte in das Zimmer.
Zum erſten Mal fand er ſie allein, in der faſt
nächtlichen Dämmerung, am Fenſter ſtehend, die
Locken ganz um das Haupt aufgelöſ't. Er dankte im
Stillen inbrünſtig dem guten Glück, das ſo willig
ſchien, Alles auszugleichen. Leiſe tritt er heran; ſie
bewegt ſich nicht. Er ſchlingt den Arm um ihren
Leib und ruft ihren Namen. Sie fährt zuſammen
und wendet ſich um, und er ſieht es feucht in ihren
Augen ſchwimmen. Du weinſt, Marie, liebes theuer¬
ſtes Leben, du weinſt? ruft er und will ſie feſter an
ſich ziehen. Sie wehrt ihm, ohne zu antworten; ſie
drückt die Augen zu und zerdrückt die Tropfen und
ſchüttelt mit dem Kopf. Nein, ſagt ſie endlich, ich
weine nicht, laß! Es iſt vorbei, es iſt gut!
Er geht drei Schritte auf und ab; er weiß nicht
wie ihm geſchehen, aber mit Einem Schlag iſt all
ſeine Freudigkeit gelähmt. Was haſt du, fragt er
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