Bianchi warf einen scharfen Blick auf die Alte und brummte vor sich hin: So! so! Ich denke, wir kennen uns. Die Alte ward es inne und indem sie den Rest ihrer Flasche in ihr Glas goß, sagte sie: Ein blödes Ding, meine Herren, ein armes blödes Waisenkind, war bei schlechten Leuten drüben im Ge¬ birg, als ich sie dort fand, und mich dauerte der jungen Creatur. Wie leicht wird eins verdorben, wenn es in unrechte Hände kommt! Ich nahm es denn mit nach Rom, um Jesu Barmherzigkeit willen, und halt' es hier, so gut's eine arme Alte kann, in allen Ehren und Tugenden, das arme Ding! Schlag die Augen auf, Caterina, wenn die Herren mit dir reden wollen.
Das Mädchen gehorchte und ließ ihre großen stillen Augen einen Moment auf Bianchi ruhen, um sie sogleich wieder zu senken. Der Künstler hob sich halb empor auf seinem Sitz und bog sich zu ihr hinüber.
Du heißt Caterina? sagte er.
Ja, Herr! erwiederte sie mit einer tiefen aber wei¬ chen Stimme.
Wie alt bist du?
Achtzehn Jahr.
Du wirst einen Liebsten in Albano zurückgelassen haben, oder mehr als Einen.
Sie schüttelte den Kopf. Was Ihr redet! fiel die
Bianchi warf einen ſcharfen Blick auf die Alte und brummte vor ſich hin: So! ſo! Ich denke, wir kennen uns. Die Alte ward es inne und indem ſie den Reſt ihrer Flaſche in ihr Glas goß, ſagte ſie: Ein blödes Ding, meine Herren, ein armes blödes Waiſenkind, war bei ſchlechten Leuten drüben im Ge¬ birg, als ich ſie dort fand, und mich dauerte der jungen Creatur. Wie leicht wird eins verdorben, wenn es in unrechte Hände kommt! Ich nahm es denn mit nach Rom, um Jeſu Barmherzigkeit willen, und halt' es hier, ſo gut's eine arme Alte kann, in allen Ehren und Tugenden, das arme Ding! Schlag die Augen auf, Caterina, wenn die Herren mit dir reden wollen.
Das Mädchen gehorchte und ließ ihre großen ſtillen Augen einen Moment auf Bianchi ruhen, um ſie ſogleich wieder zu ſenken. Der Künſtler hob ſich halb empor auf ſeinem Sitz und bog ſich zu ihr hinüber.
Du heißt Caterina? ſagte er.
Ja, Herr! erwiederte ſie mit einer tiefen aber wei¬ chen Stimme.
Wie alt biſt du?
Achtzehn Jahr.
Du wirſt einen Liebſten in Albano zurückgelaſſen haben, oder mehr als Einen.
Sie ſchüttelte den Kopf. Was Ihr redet! fiel die
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0186"n="174"/><p>Bianchi warf einen ſcharfen Blick auf die Alte<lb/>
und brummte vor ſich hin: So! ſo! Ich denke, wir<lb/>
kennen uns. Die Alte ward es inne und indem ſie<lb/>
den Reſt ihrer Flaſche in ihr Glas goß, ſagte ſie:<lb/>
Ein blödes Ding, meine Herren, ein armes blödes<lb/>
Waiſenkind, war bei ſchlechten Leuten drüben im Ge¬<lb/>
birg, als ich ſie dort fand, und mich dauerte der<lb/>
jungen Creatur. Wie leicht wird eins verdorben,<lb/>
wenn es in unrechte Hände kommt! Ich nahm es<lb/>
denn mit nach Rom, um Jeſu Barmherzigkeit willen,<lb/>
und halt' es hier, ſo gut's eine arme Alte kann, in<lb/>
allen Ehren und Tugenden, das arme Ding! Schlag<lb/>
die Augen auf, Caterina, wenn die Herren mit dir<lb/>
reden wollen.</p><lb/><p>Das Mädchen gehorchte und ließ ihre großen<lb/>ſtillen Augen einen Moment auf Bianchi ruhen, um<lb/>ſie ſogleich wieder zu ſenken. Der Künſtler hob ſich<lb/>
halb empor auf ſeinem Sitz und bog ſich zu ihr<lb/>
hinüber.</p><lb/><p>Du heißt Caterina? ſagte er.</p><lb/><p>Ja, Herr! erwiederte ſie mit einer tiefen aber wei¬<lb/>
chen Stimme.</p><lb/><p>Wie alt biſt du?</p><lb/><p>Achtzehn Jahr.</p><lb/><p>Du wirſt einen Liebſten in Albano zurückgelaſſen<lb/>
haben, oder mehr als Einen.</p><lb/><p>Sie ſchüttelte den Kopf. Was Ihr redet! fiel die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[174/0186]
Bianchi warf einen ſcharfen Blick auf die Alte
und brummte vor ſich hin: So! ſo! Ich denke, wir
kennen uns. Die Alte ward es inne und indem ſie
den Reſt ihrer Flaſche in ihr Glas goß, ſagte ſie:
Ein blödes Ding, meine Herren, ein armes blödes
Waiſenkind, war bei ſchlechten Leuten drüben im Ge¬
birg, als ich ſie dort fand, und mich dauerte der
jungen Creatur. Wie leicht wird eins verdorben,
wenn es in unrechte Hände kommt! Ich nahm es
denn mit nach Rom, um Jeſu Barmherzigkeit willen,
und halt' es hier, ſo gut's eine arme Alte kann, in
allen Ehren und Tugenden, das arme Ding! Schlag
die Augen auf, Caterina, wenn die Herren mit dir
reden wollen.
Das Mädchen gehorchte und ließ ihre großen
ſtillen Augen einen Moment auf Bianchi ruhen, um
ſie ſogleich wieder zu ſenken. Der Künſtler hob ſich
halb empor auf ſeinem Sitz und bog ſich zu ihr
hinüber.
Du heißt Caterina? ſagte er.
Ja, Herr! erwiederte ſie mit einer tiefen aber wei¬
chen Stimme.
Wie alt biſt du?
Achtzehn Jahr.
Du wirſt einen Liebſten in Albano zurückgelaſſen
haben, oder mehr als Einen.
Sie ſchüttelte den Kopf. Was Ihr redet! fiel die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/186>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.