Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.aufzuregen. So las der Andere immer fort. Als Sie waren einsamer als hier, und wohin ich gehe, Und Ihr könnt das so gelassen eingestehn und Ich segne sie, und wenn ich ähnliche Tollheiten aufzuregen. So las der Andere immer fort. Als Sie waren einſamer als hier, und wohin ich gehe, Und Ihr könnt das ſo gelaſſen eingeſtehn und Ich ſegne ſie, und wenn ich ähnliche Tollheiten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0174" n="162"/> aufzuregen. So las der Andere immer fort. Als<lb/> er dann aufſtand, ſeufzte Bianchi und rief: Ihr geht?<lb/> Ihr wißt nicht, wie ich genoſſen habe. Dieſe Ge¬<lb/> ſchichten waren mir wie verſtümmelte alte Steinfigu¬<lb/> ren, die Glieder verzettelt, der Kopf weit vom Rumpfe<lb/> und alle Umriſſe verwittert oder zerſtört. Während<lb/> ihr laſet, fügte ſich's von ſelber zuſammen und ſteht<lb/> nun ganz vor mir. Hätt' ich meine heilen Glieder!<lb/> Es zuckt mir in den Fingern, ein Stück Thon zu<lb/> kneten. Aber das ſoll nicht ſein, und Ihr geht —<lb/> Ihr lächelt? Ich rathe, wohin Ihr geht. Genießt<lb/> denn Eure Jugend. Aber ich bedenke nun erſt, um<lb/> was für Nächte ich Euch gebracht habe!</p><lb/> <p>Sie waren einſamer als hier, und wohin ich gehe,<lb/> rathet Ihr nur halb, Bianchi. Ich mache zwei alten<lb/> Leuten den Hof und nur dann und wann ſtreift die<lb/> weiche Hand ihrer ſchönen Tochter heimlich meinen<lb/> Arm. All mein Genuß iſt Schauen und Hoffen.</p><lb/> <p>Und Ihr könnt das ſo gelaſſen eingeſtehn und<lb/> knirſcht nicht vor Ungeduld und Verlangen? Ich hatt'<lb/> einmal ſo eine fruchtloſe Verliebtheit. Wie ein Wurm<lb/> wand ich mich am Boden und verfluchte meine Au¬<lb/> gen, die mir den Poſſen geſpielt hatten.</p><lb/> <p>Ich ſegne ſie, und wenn ich ähnliche Tollheiten<lb/> in meinem Blut ſpüre, lüfte ich meine dumpfen Sinne<lb/> im Freien, das Forum auf und ab, oder zu den<lb/> Kapuzinern hinauf, wo nun Schnee um den Stamm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0174]
aufzuregen. So las der Andere immer fort. Als
er dann aufſtand, ſeufzte Bianchi und rief: Ihr geht?
Ihr wißt nicht, wie ich genoſſen habe. Dieſe Ge¬
ſchichten waren mir wie verſtümmelte alte Steinfigu¬
ren, die Glieder verzettelt, der Kopf weit vom Rumpfe
und alle Umriſſe verwittert oder zerſtört. Während
ihr laſet, fügte ſich's von ſelber zuſammen und ſteht
nun ganz vor mir. Hätt' ich meine heilen Glieder!
Es zuckt mir in den Fingern, ein Stück Thon zu
kneten. Aber das ſoll nicht ſein, und Ihr geht —
Ihr lächelt? Ich rathe, wohin Ihr geht. Genießt
denn Eure Jugend. Aber ich bedenke nun erſt, um
was für Nächte ich Euch gebracht habe!
Sie waren einſamer als hier, und wohin ich gehe,
rathet Ihr nur halb, Bianchi. Ich mache zwei alten
Leuten den Hof und nur dann und wann ſtreift die
weiche Hand ihrer ſchönen Tochter heimlich meinen
Arm. All mein Genuß iſt Schauen und Hoffen.
Und Ihr könnt das ſo gelaſſen eingeſtehn und
knirſcht nicht vor Ungeduld und Verlangen? Ich hatt'
einmal ſo eine fruchtloſe Verliebtheit. Wie ein Wurm
wand ich mich am Boden und verfluchte meine Au¬
gen, die mir den Poſſen geſpielt hatten.
Ich ſegne ſie, und wenn ich ähnliche Tollheiten
in meinem Blut ſpüre, lüfte ich meine dumpfen Sinne
im Freien, das Forum auf und ab, oder zu den
Kapuzinern hinauf, wo nun Schnee um den Stamm
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