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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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dessen, das Gesicht nach der Wand gekehrt, regungs¬
los als ob er schliefe. Plötzlich, als Theodor wieder
mit ihm beschäftigt war, warf er sich herum und
stützte sich auf. Mit dem verwundeten Arm haschte
er nach Theodors Hand und hielt sie mit seiner
heißen und sagte leise und langsam: Ihr seid gut!
Ihr seid gut! Ihr seid ein Mensch. -- Die Schwäche
übermannte ihn, er fiel aufs Stroh zurück und brach
in ein krampfhaftes Weinen aus. Als die Thränen
nachließen, schlief er von neuem.


Als er erwachte, brach helles Tageslicht durch die
Spalten des Ladens, daß eine sonnige Dämmerung
um ihn war. Er sah den Burschen an seinem Bett
und den Arzt und hörte, daß Theodor am frühen
Morgen, da der Bursch gekommen, in die Stadt
hinunter gegangen sei, ohne eine Wort von Wieder¬
kommen zu sagen.

Den halben Tag verbrachte er so, unruhig, sin¬
nend, hinaushorchend nach dem Flur. Ein paar
Mäuse, die er gezähmt hatte und für die er sonst in
aller Noth und Drangsal Aufmerksamkeit hatte, ka¬
men bis in die Mitte des Zimmers, blinzten ihn an,
pfiffen und schwänzelten, ohne daß er einen Blick
auf sie warf. Der Bursch, der es nicht wußte, daß
sie Hausrecht hatten, verscheuchte sie. Es pochte einer,

deſſen, das Geſicht nach der Wand gekehrt, regungs¬
los als ob er ſchliefe. Plötzlich, als Theodor wieder
mit ihm beſchäftigt war, warf er ſich herum und
ſtützte ſich auf. Mit dem verwundeten Arm haſchte
er nach Theodors Hand und hielt ſie mit ſeiner
heißen und ſagte leiſe und langſam: Ihr ſeid gut!
Ihr ſeid gut! Ihr ſeid ein Menſch. — Die Schwäche
übermannte ihn, er fiel aufs Stroh zurück und brach
in ein krampfhaftes Weinen aus. Als die Thränen
nachließen, ſchlief er von neuem.


Als er erwachte, brach helles Tageslicht durch die
Spalten des Ladens, daß eine ſonnige Dämmerung
um ihn war. Er ſah den Burſchen an ſeinem Bett
und den Arzt und hörte, daß Theodor am frühen
Morgen, da der Burſch gekommen, in die Stadt
hinunter gegangen ſei, ohne eine Wort von Wieder¬
kommen zu ſagen.

Den halben Tag verbrachte er ſo, unruhig, ſin¬
nend, hinaushorchend nach dem Flur. Ein paar
Mäuſe, die er gezähmt hatte und für die er ſonſt in
aller Noth und Drangſal Aufmerkſamkeit hatte, ka¬
men bis in die Mitte des Zimmers, blinzten ihn an,
pfiffen und ſchwänzelten, ohne daß er einen Blick
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[151/0163] deſſen, das Geſicht nach der Wand gekehrt, regungs¬ los als ob er ſchliefe. Plötzlich, als Theodor wieder mit ihm beſchäftigt war, warf er ſich herum und ſtützte ſich auf. Mit dem verwundeten Arm haſchte er nach Theodors Hand und hielt ſie mit ſeiner heißen und ſagte leiſe und langſam: Ihr ſeid gut! Ihr ſeid gut! Ihr ſeid ein Menſch. — Die Schwäche übermannte ihn, er fiel aufs Stroh zurück und brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Als die Thränen nachließen, ſchlief er von neuem. Als er erwachte, brach helles Tageslicht durch die Spalten des Ladens, daß eine ſonnige Dämmerung um ihn war. Er ſah den Burſchen an ſeinem Bett und den Arzt und hörte, daß Theodor am frühen Morgen, da der Burſch gekommen, in die Stadt hinunter gegangen ſei, ohne eine Wort von Wieder¬ kommen zu ſagen. Den halben Tag verbrachte er ſo, unruhig, ſin¬ nend, hinaushorchend nach dem Flur. Ein paar Mäuſe, die er gezähmt hatte und für die er ſonſt in aller Noth und Drangſal Aufmerkſamkeit hatte, ka¬ men bis in die Mitte des Zimmers, blinzten ihn an, pfiffen und ſchwänzelten, ohne daß er einen Blick auf ſie warf. Der Burſch, der es nicht wußte, daß ſie Hausrecht hatten, verſcheuchte ſie. Es pochte einer,

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/163>, abgerufen am 27.04.2024.