Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ueber dem Vesuv lagerte eine breite graue Nebelschicht, die sich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte an jenem Küstenstrich verdunkelte. Das Meer lag still. An der Marine aber, die unter dem hohen Sorren¬ tiner Felsenufer in einer engen Bucht angelegt ist, rührten sich schon Fischer mit ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fischen über Nacht draußen ge¬ legen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen. Andere rüsteten ihre Barken, richteten die Segel zu und schleppten Ruder und Segelstangen aus den gro¬ ßen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felsen hineingebaut über Nacht das Schiffsgeräth bewahren. Man sah keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen, reihten sich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und da stand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der flachen Dächer, oder machte sich mit den Enkeln zu schaffen, während die Tochter dem Manne half.
Siehst du, Rachela? da ist unser Padre Curato, sagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jah¬
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ueber dem Veſuv lagerte eine breite graue Nebelſchicht, die ſich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte an jenem Küſtenſtrich verdunkelte. Das Meer lag ſtill. An der Marine aber, die unter dem hohen Sorren¬ tiner Felſenufer in einer engen Bucht angelegt iſt, rührten ſich ſchon Fiſcher mit ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fiſchen über Nacht draußen ge¬ legen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen. Andere rüſteten ihre Barken, richteten die Segel zu und ſchleppten Ruder und Segelſtangen aus den gro¬ ßen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felſen hineingebaut über Nacht das Schiffsgeräth bewahren. Man ſah keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen, reihten ſich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und da ſtand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der flachen Dächer, oder machte ſich mit den Enkeln zu ſchaffen, während die Tochter dem Manne half.
Siehſt du, Rachela? da iſt unſer Padre Curato, ſagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jah¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0103"n="91"/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Sonne war noch nicht aufgegangen. Ueber<lb/>
dem Veſuv lagerte eine breite graue Nebelſchicht, die<lb/>ſich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte<lb/>
an jenem Küſtenſtrich verdunkelte. Das Meer lag ſtill.<lb/>
An der Marine aber, die unter dem hohen Sorren¬<lb/>
tiner Felſenufer in einer engen Bucht angelegt iſt,<lb/>
rührten ſich ſchon Fiſcher mit ihren Weibern, die Kähne<lb/>
mit Netzen, die zum Fiſchen über Nacht draußen ge¬<lb/>
legen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen.<lb/>
Andere rüſteten ihre Barken, richteten die Segel zu<lb/>
und ſchleppten Ruder und Segelſtangen aus den gro¬<lb/>
ßen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felſen<lb/>
hineingebaut über Nacht das Schiffsgeräth bewahren.<lb/>
Man ſah keinen müßig gehen; denn auch die Alten,<lb/>
die keine Fahrt mehr machen, reihten ſich in die große<lb/>
Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und<lb/>
da ſtand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem<lb/>
der flachen Dächer, oder machte ſich mit den Enkeln<lb/>
zu ſchaffen, während die Tochter dem Manne half.</p><lb/><p>Siehſt du, Rachela? da iſt unſer Padre Curato,<lb/>ſagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jah¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[91/0103]
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ueber
dem Veſuv lagerte eine breite graue Nebelſchicht, die
ſich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte
an jenem Küſtenſtrich verdunkelte. Das Meer lag ſtill.
An der Marine aber, die unter dem hohen Sorren¬
tiner Felſenufer in einer engen Bucht angelegt iſt,
rührten ſich ſchon Fiſcher mit ihren Weibern, die Kähne
mit Netzen, die zum Fiſchen über Nacht draußen ge¬
legen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen.
Andere rüſteten ihre Barken, richteten die Segel zu
und ſchleppten Ruder und Segelſtangen aus den gro¬
ßen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felſen
hineingebaut über Nacht das Schiffsgeräth bewahren.
Man ſah keinen müßig gehen; denn auch die Alten,
die keine Fahrt mehr machen, reihten ſich in die große
Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und
da ſtand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem
der flachen Dächer, oder machte ſich mit den Enkeln
zu ſchaffen, während die Tochter dem Manne half.
Siehſt du, Rachela? da iſt unſer Padre Curato,
ſagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jah¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/103>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.