Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].

Bild:
<< vorherige Seite

Eine Nacht rastete man auf einem Gut bei Freunden, die nächste mußte in einem Krug verbracht werden. Ein niederes verräuchertes Zimmer gab es da für die lettischen Bauern, ein besseres, die deutsche Stube, für die vornehmen Reisenden. In beiden aber waren Schwärme von Fliegen und Insekten aller Art heimisch.

Bei Petschory, wo sie über ein Flüßchen kamen, verließen die Reisenden Livland. Neugierig streckte Dorothee das Köpfchen in dem großen seidenen Schutenhut ans dem Fenster. Da sah sie einen anderen Reisewagen halten, in dem ein hoher Offizier saß. Die ihn begleitenden Soldaten waren abgestiegen. Im Hintergrunde erhob sich ein langes gelbes Gebäude mit mehreren daraufgesetzten zwiebelförmigen Kuppeln. Tante Sonja sagte, es sei ein als Wallfahrtsort bekanntes Kloster. So teilten sich Kirche und Militär in den ersten Eindruck, den Dorothee vom eigentlichen Rußland empfing.

Bis hierher waren Relais vorausgesandt worden. Jetzt fuhr man mit Postpferden weiter, auf einer schnurgeraden breiten Chaussee, der großen Heerstraße, die über Pskow nach Petersburg führte. Und immer öder wurde die Gegend, immer eisiger fegte der Wind über die endlose Ebene. Längs der Straße in kurzen Abständen waren auf steinernen Unterbauten Holztürme errichtet, und an jedem dieser Holztürme befand sich ein hohes, weithin sichtbares Gestell, an dem drei gegliederte und verschiebbare Balken derart befestigt waren, daß sich durch vielfache Kombinationen mit ihnen verschiedene Zeichen geben ließen. "Das ist die Chappesche

Eine Nacht rastete man auf einem Gut bei Freunden, die nächste mußte in einem Krug verbracht werden. Ein niederes verräuchertes Zimmer gab es da für die lettischen Bauern, ein besseres, die deutsche Stube, für die vornehmen Reisenden. In beiden aber waren Schwärme von Fliegen und Insekten aller Art heimisch.

Bei Petschory, wo sie über ein Flüßchen kamen, verließen die Reisenden Livland. Neugierig streckte Dorothee das Köpfchen in dem großen seidenen Schutenhut ans dem Fenster. Da sah sie einen anderen Reisewagen halten, in dem ein hoher Offizier saß. Die ihn begleitenden Soldaten waren abgestiegen. Im Hintergrunde erhob sich ein langes gelbes Gebäude mit mehreren daraufgesetzten zwiebelförmigen Kuppeln. Tante Sonja sagte, es sei ein als Wallfahrtsort bekanntes Kloster. So teilten sich Kirche und Militär in den ersten Eindruck, den Dorothee vom eigentlichen Rußland empfing.

Bis hierher waren Relais vorausgesandt worden. Jetzt fuhr man mit Postpferden weiter, auf einer schnurgeraden breiten Chaussee, der großen Heerstraße, die über Pskow nach Petersburg führte. Und immer öder wurde die Gegend, immer eisiger fegte der Wind über die endlose Ebene. Längs der Straße in kurzen Abständen waren auf steinernen Unterbauten Holztürme errichtet, und an jedem dieser Holztürme befand sich ein hohes, weithin sichtbares Gestell, an dem drei gegliederte und verschiebbare Balken derart befestigt waren, daß sich durch vielfache Kombinationen mit ihnen verschiedene Zeichen geben ließen. „Das ist die Chappesche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0089" n="87"/>
        <p>Eine Nacht rastete man auf einem Gut bei Freunden, die nächste mußte in einem Krug verbracht werden. Ein niederes verräuchertes Zimmer gab es da für die lettischen Bauern, ein besseres, die deutsche Stube, für die vornehmen Reisenden. In beiden aber waren Schwärme von Fliegen und Insekten aller Art heimisch.</p>
        <p>Bei Petschory, wo sie über ein Flüßchen kamen, verließen die Reisenden Livland. Neugierig streckte Dorothee das Köpfchen in dem großen seidenen Schutenhut ans dem Fenster. Da sah sie einen anderen Reisewagen halten, in dem ein hoher Offizier saß. Die ihn begleitenden Soldaten waren abgestiegen. Im Hintergrunde erhob sich ein langes gelbes Gebäude mit mehreren daraufgesetzten zwiebelförmigen Kuppeln. Tante Sonja sagte, es sei ein als Wallfahrtsort bekanntes Kloster. So teilten sich Kirche und Militär in den ersten Eindruck, den Dorothee vom eigentlichen Rußland empfing.</p>
        <p>Bis hierher waren Relais vorausgesandt worden. Jetzt fuhr man mit Postpferden weiter, auf einer schnurgeraden breiten Chaussee, der großen Heerstraße, die über Pskow nach Petersburg führte. Und immer öder wurde die Gegend, immer eisiger fegte der Wind über die endlose Ebene. Längs der Straße in kurzen Abständen waren auf steinernen Unterbauten Holztürme errichtet, und an jedem dieser Holztürme befand sich ein hohes, weithin sichtbares Gestell, an dem drei gegliederte und verschiebbare Balken derart befestigt waren, daß sich durch vielfache Kombinationen mit ihnen verschiedene Zeichen geben ließen. &#x201E;Das ist die Chappesche
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0089] Eine Nacht rastete man auf einem Gut bei Freunden, die nächste mußte in einem Krug verbracht werden. Ein niederes verräuchertes Zimmer gab es da für die lettischen Bauern, ein besseres, die deutsche Stube, für die vornehmen Reisenden. In beiden aber waren Schwärme von Fliegen und Insekten aller Art heimisch. Bei Petschory, wo sie über ein Flüßchen kamen, verließen die Reisenden Livland. Neugierig streckte Dorothee das Köpfchen in dem großen seidenen Schutenhut ans dem Fenster. Da sah sie einen anderen Reisewagen halten, in dem ein hoher Offizier saß. Die ihn begleitenden Soldaten waren abgestiegen. Im Hintergrunde erhob sich ein langes gelbes Gebäude mit mehreren daraufgesetzten zwiebelförmigen Kuppeln. Tante Sonja sagte, es sei ein als Wallfahrtsort bekanntes Kloster. So teilten sich Kirche und Militär in den ersten Eindruck, den Dorothee vom eigentlichen Rußland empfing. Bis hierher waren Relais vorausgesandt worden. Jetzt fuhr man mit Postpferden weiter, auf einer schnurgeraden breiten Chaussee, der großen Heerstraße, die über Pskow nach Petersburg führte. Und immer öder wurde die Gegend, immer eisiger fegte der Wind über die endlose Ebene. Längs der Straße in kurzen Abständen waren auf steinernen Unterbauten Holztürme errichtet, und an jedem dieser Holztürme befand sich ein hohes, weithin sichtbares Gestell, an dem drei gegliederte und verschiebbare Balken derart befestigt waren, daß sich durch vielfache Kombinationen mit ihnen verschiedene Zeichen geben ließen. „Das ist die Chappesche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-15T09:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-15T09:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/89
Zitationshilfe: Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918], S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/89>, abgerufen am 02.05.2024.