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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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nach dem Erwachen während der Nacht im finstern Zimmer habe,
so muß ich zugestehen, daß mir dieselbe trotz ihrer Helligkeit
doch dem tiefsten Sammtschwarz, wie ich es im erleuchteten
Raume sehen kann, immer noch näher verwandt erscheint, als
dem Weiß der Sonnenscheibe. Dies scheint meiner Behauptung,
daß jene Empfindung durchschnittlich dem mittlen Grau von
der Helligkeit 0 · 5 gleiche, zu widersprechen. Doch ist der
Widerspruch wohl nur scheinbar. Gäbe es nämlich Lichtstrahlen,
welche in unserem Auge ganz analoger Weise die Assimilirung
förderten, wie die wirklichen Lichtstrahlen die Dissimilirung
steigern, und könnten wir solche Lichtstrahlen mit derselben
Intensität auf die Netzhaut wirken lassen, wie wir es mit den
Sonnenstrahlen vermögen, so müßten wir dadurch die Empfin-
dung eines Schwarz bekommen, welches an Tiefe oder Inten-
sität ganz außerordentlich selbst das tiefste wirklich empfundene
Sammtschwarz überträfe und geradezu blendend wäre. Aber
solche als A-Reiz wirkende Lichtstrahlen gibt es nicht, die
innern A-Reize aber sind immer verhältnißmäßig schwach; sie
wirken nie in so concentrirter Weise, wie es günstigen Falls das
äußere Licht vermag.

Da wir also von den nur denkbaren dunklen Empfindungen,
welche schwärzer als Sammtschwarz sind, gar keine Vorstellung
haben, eben weil sie erfahrungsgemäß nicht vorkommen und
nach meiner Theorie auch nicht vorkommen können, so ist be-
greiflich, daß uns das mittle Grau oder die mittle Helligkeit dem
Sammtschwarz näher zu stehen scheint, als dem hellsten wirk-
lich zur Empfindung kommenden Weiß.

§. 32.
Erklärung des simultanen Contrastes.

Stellen wir bei einer mittlen Beleuchtung und mit gesun-
den, nicht zuvor geblendeten Augen die in meiner zweiten Mit-
theilung beschriebenen Contrastversuche an, so ergibt sich, daß,
wenn ein Theil des Sehorganes durch Licht gereizt wird, die
übrigen Theile und insbesondere die Nachbartheile dunkler em-
pfinden als vorher.

Von vornherein gestattet die in §. 27 aufgestellte Hypothese
eine mehrfache Erklärung dieser Thatsache. Das Dunklerwerden

nach dem Erwachen während der Nacht im finstern Zimmer habe,
so muß ich zugestehen, daß mir dieselbe trotz ihrer Helligkeit
doch dem tiefsten Sammtschwarz, wie ich es im erleuchteten
Raume sehen kann, immer noch näher verwandt erscheint, als
dem Weiß der Sonnenscheibe. Dies scheint meiner Behauptung,
daß jene Empfindung durchschnittlich dem mittlen Grau von
der Helligkeit 0 · 5 gleiche, zu widersprechen. Doch ist der
Widerspruch wohl nur scheinbar. Gäbe es nämlich Lichtstrahlen,
welche in unserem Auge ganz analoger Weise die Assimilirung
förderten, wie die wirklichen Lichtstrahlen die Dissimilirung
steigern, und könnten wir solche Lichtstrahlen mit derselben
Intensität auf die Netzhaut wirken lassen, wie wir es mit den
Sonnenstrahlen vermögen, so müßten wir dadurch die Empfin-
dung eines Schwarz bekommen, welches an Tiefe oder Inten-
sität ganz außerordentlich selbst das tiefste wirklich empfundene
Sammtschwarz überträfe und geradezu blendend wäre. Aber
solche als A-Reiz wirkende Lichtstrahlen gibt es nicht, die
innern A-Reize aber sind immer verhältnißmäßig schwach; sie
wirken nie in so concentrirter Weise, wie es günstigen Falls das
äußere Licht vermag.

Da wir also von den nur denkbaren dunklen Empfindungen,
welche schwärzer als Sammtschwarz sind, gar keine Vorstellung
haben, eben weil sie erfahrungsgemäß nicht vorkommen und
nach meiner Theorie auch nicht vorkommen können, so ist be-
greiflich, daß uns das mittle Grau oder die mittle Helligkeit dem
Sammtschwarz näher zu stehen scheint, als dem hellsten wirk-
lich zur Empfindung kommenden Weiß.

§. 32.
Erklärung des simultanen Contrastes.

Stellen wir bei einer mittlen Beleuchtung und mit gesun-
den, nicht zuvor geblendeten Augen die in meiner zweiten Mit-
theilung beschriebenen Contrastversuche an, so ergibt sich, daß,
wenn ein Theil des Sehorganes durch Licht gereizt wird, die
übrigen Theile und insbesondere die Nachbartheile dunkler em-
pfinden als vorher.

Von vornherein gestattet die in §. 27 aufgestellte Hypothese
eine mehrfache Erklärung dieser Thatsache. Das Dunklerwerden

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[89/0097] nach dem Erwachen während der Nacht im finstern Zimmer habe, so muß ich zugestehen, daß mir dieselbe trotz ihrer Helligkeit doch dem tiefsten Sammtschwarz, wie ich es im erleuchteten Raume sehen kann, immer noch näher verwandt erscheint, als dem Weiß der Sonnenscheibe. Dies scheint meiner Behauptung, daß jene Empfindung durchschnittlich dem mittlen Grau von der Helligkeit 0 · 5 gleiche, zu widersprechen. Doch ist der Widerspruch wohl nur scheinbar. Gäbe es nämlich Lichtstrahlen, welche in unserem Auge ganz analoger Weise die Assimilirung förderten, wie die wirklichen Lichtstrahlen die Dissimilirung steigern, und könnten wir solche Lichtstrahlen mit derselben Intensität auf die Netzhaut wirken lassen, wie wir es mit den Sonnenstrahlen vermögen, so müßten wir dadurch die Empfin- dung eines Schwarz bekommen, welches an Tiefe oder Inten- sität ganz außerordentlich selbst das tiefste wirklich empfundene Sammtschwarz überträfe und geradezu blendend wäre. Aber solche als A-Reiz wirkende Lichtstrahlen gibt es nicht, die innern A-Reize aber sind immer verhältnißmäßig schwach; sie wirken nie in so concentrirter Weise, wie es günstigen Falls das äußere Licht vermag. Da wir also von den nur denkbaren dunklen Empfindungen, welche schwärzer als Sammtschwarz sind, gar keine Vorstellung haben, eben weil sie erfahrungsgemäß nicht vorkommen und nach meiner Theorie auch nicht vorkommen können, so ist be- greiflich, daß uns das mittle Grau oder die mittle Helligkeit dem Sammtschwarz näher zu stehen scheint, als dem hellsten wirk- lich zur Empfindung kommenden Weiß. §. 32. Erklärung des simultanen Contrastes. Stellen wir bei einer mittlen Beleuchtung und mit gesun- den, nicht zuvor geblendeten Augen die in meiner zweiten Mit- theilung beschriebenen Contrastversuche an, so ergibt sich, daß, wenn ein Theil des Sehorganes durch Licht gereizt wird, die übrigen Theile und insbesondere die Nachbartheile dunkler em- pfinden als vorher. Von vornherein gestattet die in §. 27 aufgestellte Hypothese eine mehrfache Erklärung dieser Thatsache. Das Dunklerwerden

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/97>, abgerufen am 22.11.2024.