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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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Wenn wir also nicht gleich beim ersten Schritte in dies
schwierige Gebiet eine Hypothese einführen wollen, welche mit
der Grundvoraussetzung der ganzen Psychophysik in einem noch
ungelösten Widerspruche steht und jedenfalls für andere ganz
willkürliche und theoretisch unwahrscheinliche Annahmen ein
schlimmes Präcedens gibt, so müssen wir die jetzt übliche An-
sicht aufgeben, und wir können dies um so leichter als sich eine
andere Hypothese bietet, welche mit der erwähnten Voraus-
setzung der Psychophysik durchaus im Einklange ist und zu-
gleich den Forderungen, welche vom Standpunkte der allgemeinen
Nervenphysiologie an solche Hypothesen gestellt werden dürfen,
weit besser genügt, als die jetzige Theorie. Diese Annahme aber
ist folgende:

Den beiden Qualitäten der Empfindung, welche
wir als Weiß oder Hell und als Schwarz oder Dunkel
bezeichnen, entsprechen zwei verschiedene Quali-
täten des chemischen Geschehens in der Sehsub-
stanz; und den verschiedenen Verhältnissen der
Deutlichkeit oder Intensität, mit welcher jene bei-
den Empfindungen in den einzelnen Übergängen
zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz hervor-
treten, oder den Verhältnissen, in welchen sie ge-
mischt erscheinen, entsprechen dieselben Verhält-
nisse der Intensitäten jener beiden psychophysischen
Processe
.

Sitzungsber. d. Akad., 52. Bd., 1868): "Jedem Psychischen entspricht ein
Physisches und umgekehrt. Gleichen psychischen Processen entsprechen
gleiche physische, ungleichen ungleiche. Wenn ein psychischer Vorgang
sich auf rein psychologischem Wege in eine Mehrheit von Qualitäten a, b, c
auflösen läßt, so entsprechen diesem eine ebenso große Zahl verschiedener
physischer Processe a, b, g. Allen Details des Psychischen correspondiren
Details des Physischen." Wenn ich davon absehe, daß hierbei keine Rück-
sicht darauf genommen ist, daß psychophysische Processe von sehr ver-
schiedener Größe dieselbe Empfindung geben können, weil es überall nicht
auf die absolute Größe dieser Processe, sondern lediglich auf ihr gegensei-
tiges Verhältniß ankommt (vergl. §. 29), so kann ich diesen Worten Mach's
vollständig beipflichten.
Auf demselben Princip beruhte schon meine Theorie des Raumsinnes
der Netzhaut. Mach ist der Einzige, welcher dem Grundgedanken derselben
beigepflichtet hat.

Wenn wir also nicht gleich beim ersten Schritte in dies
schwierige Gebiet eine Hypothese einführen wollen, welche mit
der Grundvoraussetzung der ganzen Psychophysik in einem noch
ungelösten Widerspruche steht und jedenfalls für andere ganz
willkürliche und theoretisch unwahrscheinliche Annahmen ein
schlimmes Präcedens gibt, so müssen wir die jetzt übliche An-
sicht aufgeben, und wir können dies um so leichter als sich eine
andere Hypothese bietet, welche mit der erwähnten Voraus-
setzung der Psychophysik durchaus im Einklange ist und zu-
gleich den Forderungen, welche vom Standpunkte der allgemeinen
Nervenphysiologie an solche Hypothesen gestellt werden dürfen,
weit besser genügt, als die jetzige Theorie. Diese Annahme aber
ist folgende:

Den beiden Qualitäten der Empfindung, welche
wir als Weiß oder Hell und als Schwarz oder Dunkel
bezeichnen, entsprechen zwei verschiedene Quali-
täten des chemischen Geschehens in der Sehsub-
stanz; und den verschiedenen Verhältnissen der
Deutlichkeit oder Intensität, mit welcher jene bei-
den Empfindungen in den einzelnen Übergängen
zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz hervor-
treten, oder den Verhältnissen, in welchen sie ge-
mischt erscheinen, entsprechen dieselben Verhält-
nisse der Intensitäten jener beiden psychophysischen
Processe
.

Sitzungsber. d. Akad., 52. Bd., 1868): „Jedem Psychischen entspricht ein
Physisches und umgekehrt. Gleichen psychischen Processen entsprechen
gleiche physische, ungleichen ungleiche. Wenn ein psychischer Vorgang
sich auf rein psychologischem Wege in eine Mehrheit von Qualitäten a, b, c
auflösen läßt, so entsprechen diesem eine ebenso große Zahl verschiedener
physischer Processe α, β, γ. Allen Details des Psychischen correspondiren
Details des Physischen.“ Wenn ich davon absehe, daß hierbei keine Rück-
sicht darauf genommen ist, daß psychophysische Processe von sehr ver-
schiedener Größe dieselbe Empfindung geben können, weil es überall nicht
auf die absolute Größe dieser Processe, sondern lediglich auf ihr gegensei-
tiges Verhältniß ankommt (vergl. §. 29), so kann ich diesen Worten Mach’s
vollständig beipflichten.
Auf demselben Princip beruhte schon meine Theorie des Raumsinnes
der Netzhaut. Mach ist der Einzige, welcher dem Grundgedanken derselben
beigepflichtet hat.
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[77/0085] Wenn wir also nicht gleich beim ersten Schritte in dies schwierige Gebiet eine Hypothese einführen wollen, welche mit der Grundvoraussetzung der ganzen Psychophysik in einem noch ungelösten Widerspruche steht und jedenfalls für andere ganz willkürliche und theoretisch unwahrscheinliche Annahmen ein schlimmes Präcedens gibt, so müssen wir die jetzt übliche An- sicht aufgeben, und wir können dies um so leichter als sich eine andere Hypothese bietet, welche mit der erwähnten Voraus- setzung der Psychophysik durchaus im Einklange ist und zu- gleich den Forderungen, welche vom Standpunkte der allgemeinen Nervenphysiologie an solche Hypothesen gestellt werden dürfen, weit besser genügt, als die jetzige Theorie. Diese Annahme aber ist folgende: Den beiden Qualitäten der Empfindung, welche wir als Weiß oder Hell und als Schwarz oder Dunkel bezeichnen, entsprechen zwei verschiedene Quali- täten des chemischen Geschehens in der Sehsub- stanz; und den verschiedenen Verhältnissen der Deutlichkeit oder Intensität, mit welcher jene bei- den Empfindungen in den einzelnen Übergängen zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz hervor- treten, oder den Verhältnissen, in welchen sie ge- mischt erscheinen, entsprechen dieselben Verhält- nisse der Intensitäten jener beiden psychophysischen Processe. 1) 1) Sitzungsber. d. Akad., 52. Bd., 1868): „Jedem Psychischen entspricht ein Physisches und umgekehrt. Gleichen psychischen Processen entsprechen gleiche physische, ungleichen ungleiche. Wenn ein psychischer Vorgang sich auf rein psychologischem Wege in eine Mehrheit von Qualitäten a, b, c auflösen läßt, so entsprechen diesem eine ebenso große Zahl verschiedener physischer Processe α, β, γ. Allen Details des Psychischen correspondiren Details des Physischen.“ Wenn ich davon absehe, daß hierbei keine Rück- sicht darauf genommen ist, daß psychophysische Processe von sehr ver- schiedener Größe dieselbe Empfindung geben können, weil es überall nicht auf die absolute Größe dieser Processe, sondern lediglich auf ihr gegensei- tiges Verhältniß ankommt (vergl. §. 29), so kann ich diesen Worten Mach’s vollständig beipflichten. Auf demselben Princip beruhte schon meine Theorie des Raumsinnes der Netzhaut. Mach ist der Einzige, welcher dem Grundgedanken derselben beigepflichtet hat.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/85>, abgerufen am 22.11.2024.