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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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sondern geben durch ihre Verbindung ein Product besonderer
Qualität. In jedem Grau empfinden wir Weiß und Schwarz zu-
gleich, aber keines von beiden vollständig, wie wir im Kinde
zugleich Vater und Mutter, doch aber weder den ganzen Vater
noch die ganze Mutter sehen.

Wer also ohne alle physikalischen und physiologischen Vor-
aussetzungen an die Thatsachen des Gesichtssinnes herantritt,
kann nicht sagen, daß Grau eine intensivere Empfindung sei
als Schwarz u. dergl. m.; er kann nur sagen, daß er in der
schwarzweißen Empfindungsreihe am einen Ende das Schwarz,
am anderen das Weiß am reinsten empfindet, und daß er,
wenn er die Übergänge vom Schwarz zum Weiß durchläuft, das
Schwarze immer mehr durch Weiß verdrängt oder verunreinigt
sieht und umgekehrt.

Will man die in der einen Richtung mehr und mehr wach-
sende Reinheit des Weiß als wachsende Intensität bezeichnen,
so muß auch die in der andern Richtung wachsende Reinheit
des Schwarz ebenso bezeichnet werden. Sind aber zwei Inten-
sitätsreihen in der gegebenen Empfindungsreihe zugleich anzu-
nehmen, so heißt das nichts anderes, als daß alle Übergänge
vom Weißen zum Schwarzen als Mischungen derjenigen beiden
Empfindungen angesehen werden können, welche an den beiden
Enden der Reihe am reinsten hervortreten. Die Bezeichnungen
"Intensität", "Stärke" oder "intensive Größe" (Fechner) lassen
sich also auf die besprochene Empfindungsreihe, für welche sie
besonders häufig angewandt worden sind, nur unter der Bedin-
gung gebrauchen, daß man jedem einzelnen Gliede der
Reihe zwei Intensitäten zugesteht und das Verhält-
niß angibt, in welchem hier die Intensitäten der
beiden Empfindungen des Schwarz und Weiß zu ein-
ander stehen,
wobei man also Schwarz und Weiß als relativ
einfache Empfindungen von den Übergängen zwischen beiden
als gemischten Empfindungen unterscheidet.

Wenn den einzelnen Stufen der schwarzweißen Empfindungs-
reihe eine Intensität im jetzt üblichen Sinne des Wortes zuge-
schrieben werden könnte, so müßte es denkbar sein, daß diese
Intensität sich änderte; denn andernfalls hätte die Anwendung
des Begriffes der Intensität hier keinen Sinn. Wie aber soll

sondern geben durch ihre Verbindung ein Product besonderer
Qualität. In jedem Grau empfinden wir Weiß und Schwarz zu-
gleich, aber keines von beiden vollständig, wie wir im Kinde
zugleich Vater und Mutter, doch aber weder den ganzen Vater
noch die ganze Mutter sehen.

Wer also ohne alle physikalischen und physiologischen Vor-
aussetzungen an die Thatsachen des Gesichtssinnes herantritt,
kann nicht sagen, daß Grau eine intensivere Empfindung sei
als Schwarz u. dergl. m.; er kann nur sagen, daß er in der
schwarzweißen Empfindungsreihe am einen Ende das Schwarz,
am anderen das Weiß am reinsten empfindet, und daß er,
wenn er die Übergänge vom Schwarz zum Weiß durchläuft, das
Schwarze immer mehr durch Weiß verdrängt oder verunreinigt
sieht und umgekehrt.

Will man die in der einen Richtung mehr und mehr wach-
sende Reinheit des Weiß als wachsende Intensität bezeichnen,
so muß auch die in der andern Richtung wachsende Reinheit
des Schwarz ebenso bezeichnet werden. Sind aber zwei Inten-
sitätsreihen in der gegebenen Empfindungsreihe zugleich anzu-
nehmen, so heißt das nichts anderes, als daß alle Übergänge
vom Weißen zum Schwarzen als Mischungen derjenigen beiden
Empfindungen angesehen werden können, welche an den beiden
Enden der Reihe am reinsten hervortreten. Die Bezeichnungen
„Intensität“, „Stärke“ oder „intensive Größe“ (Fechner) lassen
sich also auf die besprochene Empfindungsreihe, für welche sie
besonders häufig angewandt worden sind, nur unter der Bedin-
gung gebrauchen, daß man jedem einzelnen Gliede der
Reihe zwei Intensitäten zugesteht und das Verhält-
niß angibt, in welchem hier die Intensitäten der
beiden Empfindungen des Schwarz und Weiß zu ein-
ander stehen,
wobei man also Schwarz und Weiß als relativ
einfache Empfindungen von den Übergängen zwischen beiden
als gemischten Empfindungen unterscheidet.

Wenn den einzelnen Stufen der schwarzweißen Empfindungs-
reihe eine Intensität im jetzt üblichen Sinne des Wortes zuge-
schrieben werden könnte, so müßte es denkbar sein, daß diese
Intensität sich änderte; denn andernfalls hätte die Anwendung
des Begriffes der Intensität hier keinen Sinn. Wie aber soll

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[55/0063] sondern geben durch ihre Verbindung ein Product besonderer Qualität. In jedem Grau empfinden wir Weiß und Schwarz zu- gleich, aber keines von beiden vollständig, wie wir im Kinde zugleich Vater und Mutter, doch aber weder den ganzen Vater noch die ganze Mutter sehen. Wer also ohne alle physikalischen und physiologischen Vor- aussetzungen an die Thatsachen des Gesichtssinnes herantritt, kann nicht sagen, daß Grau eine intensivere Empfindung sei als Schwarz u. dergl. m.; er kann nur sagen, daß er in der schwarzweißen Empfindungsreihe am einen Ende das Schwarz, am anderen das Weiß am reinsten empfindet, und daß er, wenn er die Übergänge vom Schwarz zum Weiß durchläuft, das Schwarze immer mehr durch Weiß verdrängt oder verunreinigt sieht und umgekehrt. Will man die in der einen Richtung mehr und mehr wach- sende Reinheit des Weiß als wachsende Intensität bezeichnen, so muß auch die in der andern Richtung wachsende Reinheit des Schwarz ebenso bezeichnet werden. Sind aber zwei Inten- sitätsreihen in der gegebenen Empfindungsreihe zugleich anzu- nehmen, so heißt das nichts anderes, als daß alle Übergänge vom Weißen zum Schwarzen als Mischungen derjenigen beiden Empfindungen angesehen werden können, welche an den beiden Enden der Reihe am reinsten hervortreten. Die Bezeichnungen „Intensität“, „Stärke“ oder „intensive Größe“ (Fechner) lassen sich also auf die besprochene Empfindungsreihe, für welche sie besonders häufig angewandt worden sind, nur unter der Bedin- gung gebrauchen, daß man jedem einzelnen Gliede der Reihe zwei Intensitäten zugesteht und das Verhält- niß angibt, in welchem hier die Intensitäten der beiden Empfindungen des Schwarz und Weiß zu ein- ander stehen, wobei man also Schwarz und Weiß als relativ einfache Empfindungen von den Übergängen zwischen beiden als gemischten Empfindungen unterscheidet. Wenn den einzelnen Stufen der schwarzweißen Empfindungs- reihe eine Intensität im jetzt üblichen Sinne des Wortes zuge- schrieben werden könnte, so müßte es denkbar sein, daß diese Intensität sich änderte; denn andernfalls hätte die Anwendung des Begriffes der Intensität hier keinen Sinn. Wie aber soll

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/63>, abgerufen am 24.11.2024.