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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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Variable entsprechen. Ausgehend von dem in §. 27 erörterten
Grundgedanken, daß jedem Psychischen ein Physisches entsprechen
müsse, und unter Annahme der schon von Leonardo da Vinci,
Aubert
u. A. betonten einfachen Farben (Roth, Gelb, Grün, Blau)
kam daher schon Mach 1) zu dem Resultate, daß es nicht drei,
sondern vier "Grundfarbenempfindungen" geben und daß außerdem
"für die Empfindung Weiß und Schwarz ein besonderer physio-
logischer Proceß statuirt werden müsse". "Denn im Weiß ist
keine andere Farbe erkennbar. Wenn demselben auch in der
Netzhaut mehrere Erregungen entsprechen, der letzte Vorgang
in der physiologischen Kette, welcher den einfachen phy-
sischen
Proceß der Empfindung Weiß bedingt, muß einfach
gedacht werden wie dieser." Die qualitative und nicht blos quan-
titative Verschiedenheit des Schwarz und Grau vom Weiß hat
Mach nicht besonders betont; auch fußen alle seine Erörterungen
noch auf dem psychophysischen Gesetze Fechner's.

Die Young'sche Theorie müsse also, meint Mach, dahin
modificirt werden, daß an Stelle von drei jene vier Grundfarben
gesetzt werden. Allerdings würde dadurch jene Theorie mit dem
natürlichen Farbensystem in viel besseren Einklang gebracht,
und insofern war Mach's Annahme ein wesentlicher Fortschritt.
Aber der Hauptfehler der Young-Helmholtz'schen Theorie
bleibt bestehen. Denn dieser liegt darin, daß diese Theorie nur
eine Art der Erregbarkeit, Erregung und Ermüdung kennt, näm-
lich die von mir mit D bezeichnete, und daß sie das antagonistische
Verhalten gewisser Lichtstrahlen zum Sehorgan verkennt; daher
sie das Weiß aus "complementären" Lichtstrahlen nicht dadurch
entstehen läßt, daß sie sich in ihrer Wirkung auf die farbigen
Sehsubstanzen aufheben, sondern dadurch, daß sie sich zu
Weiß ergänzen.

Ein entschiedener Fortschritt war der Versuch Young's, die
große Mannichfaltigkeit der Licht- und Farbenempfindungen auf
einige wenige physiologische Variable zurückzuführen. Der
richtige Grundgedanke aber erfuhr eine falsche Durchführung,
weil man sich dadurch irre leiten ließ, daß es in der That mög-
lich ist, mit Hilfe dreier, passend gewählter Arten homogenen

1) Über die Wirkung der räumlichen Vertheilung des Lichtreizes auf
die Netzhaut. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52. Bd. 1865.

Variable entsprechen. Ausgehend von dem in §. 27 erörterten
Grundgedanken, daß jedem Psychischen ein Physisches entsprechen
müsse, und unter Annahme der schon von Leonardo da Vinci,
Aubert
u. A. betonten einfachen Farben (Roth, Gelb, Grün, Blau)
kam daher schon Mach 1) zu dem Resultate, daß es nicht drei,
sondern vier „Grundfarbenempfindungen“ geben und daß außerdem
„für die Empfindung Weiß und Schwarz ein besonderer physio-
logischer Proceß statuirt werden müsse“. „Denn im Weiß ist
keine andere Farbe erkennbar. Wenn demselben auch in der
Netzhaut mehrere Erregungen entsprechen, der letzte Vorgang
in der physiologischen Kette, welcher den einfachen phy-
sischen
Proceß der Empfindung Weiß bedingt, muß einfach
gedacht werden wie dieser.“ Die qualitative und nicht blos quan-
titative Verschiedenheit des Schwarz und Grau vom Weiß hat
Mach nicht besonders betont; auch fußen alle seine Erörterungen
noch auf dem psychophysischen Gesetze Fechner’s.

Die Young’sche Theorie müsse also, meint Mach, dahin
modificirt werden, daß an Stelle von drei jene vier Grundfarben
gesetzt werden. Allerdings würde dadurch jene Theorie mit dem
natürlichen Farbensystem in viel besseren Einklang gebracht,
und insofern war Mach’s Annahme ein wesentlicher Fortschritt.
Aber der Hauptfehler der Young-Helmholtz’schen Theorie
bleibt bestehen. Denn dieser liegt darin, daß diese Theorie nur
eine Art der Erregbarkeit, Erregung und Ermüdung kennt, näm-
lich die von mir mit D bezeichnete, und daß sie das antagonistische
Verhalten gewisser Lichtstrahlen zum Sehorgan verkennt; daher
sie das Weiß aus „complementären“ Lichtstrahlen nicht dadurch
entstehen läßt, daß sie sich in ihrer Wirkung auf die farbigen
Sehsubstanzen aufheben, sondern dadurch, daß sie sich zu
Weiß ergänzen.

Ein entschiedener Fortschritt war der Versuch Young’s, die
große Mannichfaltigkeit der Licht- und Farbenempfindungen auf
einige wenige physiologische Variable zurückzuführen. Der
richtige Grundgedanke aber erfuhr eine falsche Durchführung,
weil man sich dadurch irre leiten ließ, daß es in der That mög-
lich ist, mit Hilfe dreier, passend gewählter Arten homogenen

1) Über die Wirkung der räumlichen Vertheilung des Lichtreizes auf
die Netzhaut. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52. Bd. 1865.
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[135/0143] Variable entsprechen. Ausgehend von dem in §. 27 erörterten Grundgedanken, daß jedem Psychischen ein Physisches entsprechen müsse, und unter Annahme der schon von Leonardo da Vinci, Aubert u. A. betonten einfachen Farben (Roth, Gelb, Grün, Blau) kam daher schon Mach 1) zu dem Resultate, daß es nicht drei, sondern vier „Grundfarbenempfindungen“ geben und daß außerdem „für die Empfindung Weiß und Schwarz ein besonderer physio- logischer Proceß statuirt werden müsse“. „Denn im Weiß ist keine andere Farbe erkennbar. Wenn demselben auch in der Netzhaut mehrere Erregungen entsprechen, der letzte Vorgang in der physiologischen Kette, welcher den einfachen phy- sischen Proceß der Empfindung Weiß bedingt, muß einfach gedacht werden wie dieser.“ Die qualitative und nicht blos quan- titative Verschiedenheit des Schwarz und Grau vom Weiß hat Mach nicht besonders betont; auch fußen alle seine Erörterungen noch auf dem psychophysischen Gesetze Fechner’s. Die Young’sche Theorie müsse also, meint Mach, dahin modificirt werden, daß an Stelle von drei jene vier Grundfarben gesetzt werden. Allerdings würde dadurch jene Theorie mit dem natürlichen Farbensystem in viel besseren Einklang gebracht, und insofern war Mach’s Annahme ein wesentlicher Fortschritt. Aber der Hauptfehler der Young-Helmholtz’schen Theorie bleibt bestehen. Denn dieser liegt darin, daß diese Theorie nur eine Art der Erregbarkeit, Erregung und Ermüdung kennt, näm- lich die von mir mit D bezeichnete, und daß sie das antagonistische Verhalten gewisser Lichtstrahlen zum Sehorgan verkennt; daher sie das Weiß aus „complementären“ Lichtstrahlen nicht dadurch entstehen läßt, daß sie sich in ihrer Wirkung auf die farbigen Sehsubstanzen aufheben, sondern dadurch, daß sie sich zu Weiß ergänzen. Ein entschiedener Fortschritt war der Versuch Young’s, die große Mannichfaltigkeit der Licht- und Farbenempfindungen auf einige wenige physiologische Variable zurückzuführen. Der richtige Grundgedanke aber erfuhr eine falsche Durchführung, weil man sich dadurch irre leiten ließ, daß es in der That mög- lich ist, mit Hilfe dreier, passend gewählter Arten homogenen 1) Über die Wirkung der räumlichen Vertheilung des Lichtreizes auf die Netzhaut. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 52. Bd. 1865.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/143>, abgerufen am 25.11.2024.