Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.in's Rothe oder in's Grüne, nicht aber in's Blaue, Blau nur ent- Alle übrigen Farben können wir insofern zusammenge- Anders ausgedrückt heißt dies, daß einerseits Roth Warum sich dies so verhält, ist von vornherein nicht einzu- In den Lehrbüchern der Physik ist freilich zu lesen, daß in’s Rothe oder in’s Grüne, nicht aber in’s Blaue, Blau nur ent- Alle übrigen Farben können wir insofern zusammenge- Anders ausgedrückt heißt dies, daß einerseits Roth Warum sich dies so verhält, ist von vornherein nicht einzu- In den Lehrbüchern der Physik ist freilich zu lesen, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0117" n="109"/> in’s Rothe oder in’s Grüne, nicht aber in’s Blaue, Blau nur ent-<lb/> weder in’s Rothe oder in’s Grüne, Roth nur entweder in’s Gelbe<lb/> oder in’s Blaue spielen. Diese vier Farben kann man also mit<lb/> vollem Rechte, wie dies schon <hi rendition="#g">Leonardo da Vinci</hi> that, als<lb/> einfache oder Grundfarben bezeichnen. Deshalb hat auch die<lb/> Sprache für sie einfache und nicht von farbigen Naturkörpern<lb/> entlehnte Bezeichnungen, mögen dieselben ursprünglich entlehnt<lb/> worden sein oder nicht.</p><lb/> <p>Alle übrigen Farben können wir insofern <hi rendition="#g">zusammenge-<lb/> setzte</hi> oder <hi rendition="#g">Mischfarben</hi> nennen, als sich immer zwei Farben<lb/> in ihnen zugleich erkennen lassen. <hi rendition="#g">Mehr als zwei einfache<lb/> Farben aber lassen sich aus keiner zusammengesetz-<lb/> ten Farbe herausempfinden</hi>.</p><lb/> <p>Anders ausgedrückt heißt dies, daß <hi rendition="#g">einerseits Roth<lb/> und Grün, andererseits Gelb und Blau nie gleich-<lb/> zeitig in einer Farbe deutlich bemerkbar sind</hi>.</p><lb/> <p>Warum sich dies so verhält, ist von vornherein nicht einzu-<lb/> sehen, aber es ist so. Es kann Einer einen bereits hochent-<lb/> wickelten Farbensinn haben, ohne daß er sich diese merkwürdige<lb/> Thatsache schon zum Bewußtsein gebracht hat. So gut es Farben<lb/> gibt, in denen man zugleich Roth und Gelb sieht, so gut sollte<lb/> es doch auch Farben geben können, in denen man zugleich Roth<lb/> und Grün sieht. Denn die rothe Empfindung zeigt doch (abge-<lb/> sehen von den physikalischen und physiologischen Bedingungen,<lb/> unter denen sie entsteht) zur grünen so viel und so wenig einen<lb/> Gegensatz wie zur gelben. Und wenn wir auch zwischen Roth<lb/> und Grün einen besonderen Gegensatz bemerken könnten, was<lb/> aber durchaus nicht der Fall ist, so wäre dies doch noch immer<lb/> kein hinreichender Grund, die gleichzeitige Anwesenheit beider<lb/> Farben in einer Mischfarbe auszuschliessen. Weiß und Schwarz,<lb/> ebenfalls zwei einfache oder Grundempfindungen des Sehorganes,<lb/> fassen wir gern als gegensätzlich auf, und doch glauben wir<lb/> beide zugleich im Grau zu empfinden. Warum soll es also<lb/> keine Farbe geben, die zugleich Roth und Grün, oder Gelb und<lb/> Blau zu enthalten scheint? Eine Antwort hierauf ist vorerst<lb/> unmöglich.</p><lb/> <p>In den Lehrbüchern der Physik ist freilich zu lesen, daß<lb/> Roth und Grün, wie auch Gelb und Blau zusammen Weiß geben.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0117]
in’s Rothe oder in’s Grüne, nicht aber in’s Blaue, Blau nur ent-
weder in’s Rothe oder in’s Grüne, Roth nur entweder in’s Gelbe
oder in’s Blaue spielen. Diese vier Farben kann man also mit
vollem Rechte, wie dies schon Leonardo da Vinci that, als
einfache oder Grundfarben bezeichnen. Deshalb hat auch die
Sprache für sie einfache und nicht von farbigen Naturkörpern
entlehnte Bezeichnungen, mögen dieselben ursprünglich entlehnt
worden sein oder nicht.
Alle übrigen Farben können wir insofern zusammenge-
setzte oder Mischfarben nennen, als sich immer zwei Farben
in ihnen zugleich erkennen lassen. Mehr als zwei einfache
Farben aber lassen sich aus keiner zusammengesetz-
ten Farbe herausempfinden.
Anders ausgedrückt heißt dies, daß einerseits Roth
und Grün, andererseits Gelb und Blau nie gleich-
zeitig in einer Farbe deutlich bemerkbar sind.
Warum sich dies so verhält, ist von vornherein nicht einzu-
sehen, aber es ist so. Es kann Einer einen bereits hochent-
wickelten Farbensinn haben, ohne daß er sich diese merkwürdige
Thatsache schon zum Bewußtsein gebracht hat. So gut es Farben
gibt, in denen man zugleich Roth und Gelb sieht, so gut sollte
es doch auch Farben geben können, in denen man zugleich Roth
und Grün sieht. Denn die rothe Empfindung zeigt doch (abge-
sehen von den physikalischen und physiologischen Bedingungen,
unter denen sie entsteht) zur grünen so viel und so wenig einen
Gegensatz wie zur gelben. Und wenn wir auch zwischen Roth
und Grün einen besonderen Gegensatz bemerken könnten, was
aber durchaus nicht der Fall ist, so wäre dies doch noch immer
kein hinreichender Grund, die gleichzeitige Anwesenheit beider
Farben in einer Mischfarbe auszuschliessen. Weiß und Schwarz,
ebenfalls zwei einfache oder Grundempfindungen des Sehorganes,
fassen wir gern als gegensätzlich auf, und doch glauben wir
beide zugleich im Grau zu empfinden. Warum soll es also
keine Farbe geben, die zugleich Roth und Grün, oder Gelb und
Blau zu enthalten scheint? Eine Antwort hierauf ist vorerst
unmöglich.
In den Lehrbüchern der Physik ist freilich zu lesen, daß
Roth und Grün, wie auch Gelb und Blau zusammen Weiß geben.
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