Das Leuchten des Angesichts zeigt sich in- sonderheit auf der Stirn: da wohnet Licht, da wohnet Freude: da wohnt dunkler Kum- mer und Angst und Dummheit und Unwissen- heit und Bosheit. Kurz, wenn wir Gesin- nung des Menschen im reinsten Verstande, (so fein sie weder blos Sinn, noch schon Cha- rakter ist) meinen, so ist, glaube ich, dieses die leuchtende eherne Tafel.
Jch bin zu einfältig, um Philosophische und Dichterische, Politisch herrschende oder Politisch dienende Stirnen zu sondern oder ins Kabinet zu reihen; aber das weiß ich nicht, wie je ei- nem Anblickenden Eine Stirn gleichgültig seyn kann. Hinter dieser Spanischen Wand singen doch einmal alle Grazien oder hammern alle Cy- klopen, und sie ist von der Natur offenbar selbst gebildet, daß sie das Angesicht solle leuchten lassen oder verdunkeln. Jm obern Theile der Stirn zeigt sich unstreitig entweder jene Stiers- dummheit, die von Natur ein Brett hat und nachher so oft eherne Mauer genannt wird: jene Buckeln und Knoten, wie auf Cuchullins oder Achilles Schilde, nur daß er, vielleicht zwar ein geerbter Väterschild, aber nicht mit der Fi- gurenwelt Vulkanus prangen möchte: oft ein biceps Parnassus, auf dem leicht zu schlummern ist, wenn man drauf ist. Oder jene flache Auf-
dachung,
Das Leuchten des Angeſichts zeigt ſich in- ſonderheit auf der Stirn: da wohnet Licht, da wohnet Freude: da wohnt dunkler Kum- mer und Angſt und Dummheit und Unwiſſen- heit und Bosheit. Kurz, wenn wir Geſin- nung des Menſchen im reinſten Verſtande, (ſo fein ſie weder blos Sinn, noch ſchon Cha- rakter iſt) meinen, ſo iſt, glaube ich, dieſes die leuchtende eherne Tafel.
Jch bin zu einfaͤltig, um Philoſophiſche und Dichteriſche, Politiſch herrſchende oder Politiſch dienende Stirnen zu ſondern oder ins Kabinet zu reihen; aber das weiß ich nicht, wie je ei- nem Anblickenden Eine Stirn gleichguͤltig ſeyn kann. Hinter dieſer Spaniſchen Wand ſingen doch einmal alle Grazien oder hammern alle Cy- klopen, und ſie iſt von der Natur offenbar ſelbſt gebildet, daß ſie das Angeſicht ſolle leuchten laſſen oder verdunkeln. Jm obern Theile der Stirn zeigt ſich unſtreitig entweder jene Stiers- dummheit, die von Natur ein Brett hat und nachher ſo oft eherne Mauer genannt wird: jene Buckeln und Knoten, wie auf Cuchullins oder Achilles Schilde, nur daß er, vielleicht zwar ein geerbter Vaͤterſchild, aber nicht mit der Fi- gurenwelt Vulkanus prangen moͤchte: oft ein biceps Parnaſſus, auf dem leicht zu ſchlummern iſt, wenn man drauf iſt. Oder jene flache Auf-
dachung,
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Das Leuchten des Angeſichts zeigt ſich in-
ſonderheit auf der Stirn: da wohnet Licht,
da wohnet Freude: da wohnt dunkler Kum-
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heit und Bosheit. Kurz, wenn wir Geſin-
nung des Menſchen im reinſten Verſtande,
(ſo fein ſie weder blos Sinn, noch ſchon Cha-
rakter iſt) meinen, ſo iſt, glaube ich, dieſes
die leuchtende eherne Tafel.
Jch bin zu einfaͤltig, um Philoſophiſche und
Dichteriſche, Politiſch herrſchende oder Politiſch
dienende Stirnen zu ſondern oder ins Kabinet
zu reihen; aber das weiß ich nicht, wie je ei-
nem Anblickenden Eine Stirn gleichguͤltig ſeyn
kann. Hinter dieſer Spaniſchen Wand ſingen
doch einmal alle Grazien oder hammern alle Cy-
klopen, und ſie iſt von der Natur offenbar ſelbſt
gebildet, daß ſie das Angeſicht ſolle leuchten
laſſen oder verdunkeln. Jm obern Theile der
Stirn zeigt ſich unſtreitig entweder jene Stiers-
dummheit, die von Natur ein Brett hat und
nachher ſo oft eherne Mauer genannt wird: jene
Buckeln und Knoten, wie auf Cuchullins oder
Achilles Schilde, nur daß er, vielleicht zwar
ein geerbter Vaͤterſchild, aber nicht mit der Fi-
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biceps Parnaſſus, auf dem leicht zu ſchlummern
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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