chen Auskunft. Jst nur der tastende Finger be- trogen, daß er Gewand und zugleich Körper taste; der fremde Richter, das Auge, muß folgen. Kurz, es sind der Griechen nasse Gewänder.
Es ist über sie so viel und so viel falsches ge- sagt, daß man sich fast mehr zu sagen scheuet. Jedermann wars auffallend, daß sie in der Bild- hauerei so viel, in der Mahlerei keine Würkung thun. Und zugleich schienen sie so unnatürlich so unnatürlich und doch so wirksam? so wahr und schön in der Kunst, und in der Natur so häßlich? also schön und häßlich, wahr und falsch -- wer giebt Auskunft? -- Winkel- mann sagt, daß sie nichts als Nachbildung der alten Griechischen Tracht in Leinwand seyn; ich weiß nicht, ob die Griechen je nasse, an der Haut klebende Leinwand getragen? und hier war eigentlich die Frage, warum sie der Künstler so kleben ließ und nicht trocknete? führen wir sein Werk, seine Kunst, auf ihren rechten Sinn zu- rück, so antwortet die Sache. Es war nehm- lich einzige Auskunft, den tastenden Finger und das Auge, das jetzt nur als Finger tastet, zu betrügen: ihm ein Kleid zu geben, das doch nur gleichsam ein Kleid sei, Wolke, Schleier, Nebel -- doch nein, nicht Wolke und Nebel, denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; nasses
Gewand
chen Auskunft. Jſt nur der taſtende Finger be- trogen, daß er Gewand und zugleich Koͤrper taſte; der fremde Richter, das Auge, muß folgen. Kurz, es ſind der Griechen naſſe Gewaͤnder.
Es iſt uͤber ſie ſo viel und ſo viel falſches ge- ſagt, daß man ſich faſt mehr zu ſagen ſcheuet. Jedermann wars auffallend, daß ſie in der Bild- hauerei ſo viel, in der Mahlerei keine Wuͤrkung thun. Und zugleich ſchienen ſie ſo unnatuͤrlich ſo unnatuͤrlich und doch ſo wirkſam? ſo wahr und ſchoͤn in der Kunſt, und in der Natur ſo haͤßlich? alſo ſchoͤn und haͤßlich, wahr und falſch — wer giebt Auskunft? — Winkel- mann ſagt, daß ſie nichts als Nachbildung der alten Griechiſchen Tracht in Leinwand ſeyn; ich weiß nicht, ob die Griechen je naſſe, an der Haut klebende Leinwand getragen? und hier war eigentlich die Frage, warum ſie der Kuͤnſtler ſo kleben ließ und nicht trocknete? fuͤhren wir ſein Werk, ſeine Kunſt, auf ihren rechten Sinn zu- ruͤck, ſo antwortet die Sache. Es war nehm- lich einzige Auskunft, den taſtenden Finger und das Auge, das jetzt nur als Finger taſtet, zu betruͤgen: ihm ein Kleid zu geben, das doch nur gleichſam ein Kleid ſei, Wolke, Schleier, Nebel — doch nein, nicht Wolke und Nebel, denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; naſſes
Gewand
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0039"n="36"/>
chen Auskunft. Jſt nur der taſtende Finger be-<lb/>
trogen, daß er Gewand und zugleich Koͤrper<lb/>
taſte; der <hirendition="#fr">fremde</hi> Richter, das Auge, muß<lb/><hirendition="#fr">folgen.</hi> Kurz, es ſind der Griechen <hirendition="#fr">naſſe<lb/>
Gewaͤnder.</hi></p><lb/><p>Es iſt uͤber ſie ſo viel und ſo viel falſches ge-<lb/>ſagt, daß man ſich faſt mehr zu ſagen ſcheuet.<lb/>
Jedermann wars auffallend, daß ſie in der Bild-<lb/>
hauerei ſo viel, in der Mahlerei keine Wuͤrkung<lb/>
thun. Und zugleich ſchienen ſie ſo unnatuͤrlich<lb/>ſo unnatuͤrlich und doch ſo wirkſam? ſo wahr<lb/>
und ſchoͤn in der Kunſt, und in der Natur ſo<lb/>
haͤßlich? alſo ſchoͤn und haͤßlich, wahr und<lb/>
falſch — wer giebt Auskunft? —<hirendition="#fr">Winkel-<lb/>
mann</hi>ſagt, daß ſie nichts als Nachbildung der<lb/>
alten Griechiſchen Tracht in Leinwand ſeyn; ich<lb/>
weiß nicht, ob die Griechen je naſſe, an der<lb/>
Haut klebende Leinwand getragen? und hier war<lb/>
eigentlich die Frage, warum ſie der Kuͤnſtler ſo<lb/>
kleben ließ und nicht trocknete? fuͤhren wir ſein<lb/>
Werk, ſeine Kunſt, auf ihren rechten Sinn zu-<lb/>
ruͤck, ſo antwortet die <hirendition="#fr">Sache.</hi> Es war nehm-<lb/>
lich <hirendition="#fr">einzige Auskunft,</hi> den taſtenden Finger<lb/>
und das Auge, das jetzt nur als Finger taſtet,<lb/>
zu betruͤgen: ihm ein Kleid zu geben, das doch<lb/>
nur <hirendition="#fr">gleichſam</hi> ein Kleid ſei, Wolke, Schleier,<lb/>
Nebel — doch nein, nicht Wolke und Nebel,<lb/>
denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; <hirendition="#fr">naſſes</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Gewand</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[36/0039]
chen Auskunft. Jſt nur der taſtende Finger be-
trogen, daß er Gewand und zugleich Koͤrper
taſte; der fremde Richter, das Auge, muß
folgen. Kurz, es ſind der Griechen naſſe
Gewaͤnder.
Es iſt uͤber ſie ſo viel und ſo viel falſches ge-
ſagt, daß man ſich faſt mehr zu ſagen ſcheuet.
Jedermann wars auffallend, daß ſie in der Bild-
hauerei ſo viel, in der Mahlerei keine Wuͤrkung
thun. Und zugleich ſchienen ſie ſo unnatuͤrlich
ſo unnatuͤrlich und doch ſo wirkſam? ſo wahr
und ſchoͤn in der Kunſt, und in der Natur ſo
haͤßlich? alſo ſchoͤn und haͤßlich, wahr und
falſch — wer giebt Auskunft? — Winkel-
mann ſagt, daß ſie nichts als Nachbildung der
alten Griechiſchen Tracht in Leinwand ſeyn; ich
weiß nicht, ob die Griechen je naſſe, an der
Haut klebende Leinwand getragen? und hier war
eigentlich die Frage, warum ſie der Kuͤnſtler ſo
kleben ließ und nicht trocknete? fuͤhren wir ſein
Werk, ſeine Kunſt, auf ihren rechten Sinn zu-
ruͤck, ſo antwortet die Sache. Es war nehm-
lich einzige Auskunft, den taſtenden Finger
und das Auge, das jetzt nur als Finger taſtet,
zu betruͤgen: ihm ein Kleid zu geben, das doch
nur gleichſam ein Kleid ſei, Wolke, Schleier,
Nebel — doch nein, nicht Wolke und Nebel,
denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; naſſes
Gewand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/39>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.