Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden zu schaffen und zu empfinden: also auch
dies Schöne völlig auf Eine Art, durch Einerlei
natürliche Zeichen
, in einem Raume neben ein-
ander würkend, nur Eins in Formen, das andre
auf der Fläche. Jch muß sagen, ich begriff da-
bei wenig. Zwo Künste im Gebiet Eines Sin-
nes müssen auch geradezu subjektiv Einerlei Ge-
setze
des Wahren und Schönen haben, denn sie
kommen zu Einer Pforte hinein, wie sie beide zu
Einer heraus gingen, und ja nur für Einen Sinn
da sind. Die Mahlerei muß also so sehr skulptu-
riren, die Skulptur so viel mahlen können, als
sie will, und es muß schön seyn: sie dienen ja
Einem Sinne, regen Einen Punkt der Seele;
und nichts ist doch unwahrer, als dies. Jch ver-
folgte beide Künste und fand, daß kein einziges
Gesetz, keine Bemerkung, keine Würkung der
Einen, ohn Unterschied und Einschränkung auf
die andre passe. Jch fand, daß gerade je eigner
Etwas Einer Kunst sei und gleichsam als einhei-
misch
derselben in ihr große Würkung thue, desto
weniger lasse es sich platt anwenden und übertra-
gen, ohne die entsetzlichste Würkung. Jch fand
arge Beispiele davon in der Ausführung, aber
noch ungleich ärgere in der Theorie und Philoso-
phie dieser Künste, die oft von Unwissenden der
Kunst und Wissenschaft geschrieben, alles seltsam
durch einander gemischt, beide nicht als zwo Schwe-

stern
B 4

beiden zu ſchaffen und zu empfinden: alſo auch
dies Schoͤne voͤllig auf Eine Art, durch Einerlei
natuͤrliche Zeichen
, in einem Raume neben ein-
ander wuͤrkend, nur Eins in Formen, das andre
auf der Flaͤche. Jch muß ſagen, ich begriff da-
bei wenig. Zwo Kuͤnſte im Gebiet Eines Sin-
nes muͤſſen auch geradezu ſubjektiv Einerlei Ge-
ſetze
des Wahren und Schoͤnen haben, denn ſie
kommen zu Einer Pforte hinein, wie ſie beide zu
Einer heraus gingen, und ja nur fuͤr Einen Sinn
da ſind. Die Mahlerei muß alſo ſo ſehr ſkulptu-
riren, die Skulptur ſo viel mahlen koͤnnen, als
ſie will, und es muß ſchoͤn ſeyn: ſie dienen ja
Einem Sinne, regen Einen Punkt der Seele;
und nichts iſt doch unwahrer, als dies. Jch ver-
folgte beide Kuͤnſte und fand, daß kein einziges
Geſetz, keine Bemerkung, keine Wuͤrkung der
Einen, ohn Unterſchied und Einſchraͤnkung auf
die andre paſſe. Jch fand, daß gerade je eigner
Etwas Einer Kunſt ſei und gleichſam als einhei-
miſch
derſelben in ihr große Wuͤrkung thue, deſto
weniger laſſe es ſich platt anwenden und uͤbertra-
gen, ohne die entſetzlichſte Wuͤrkung. Jch fand
arge Beiſpiele davon in der Ausfuͤhrung, aber
noch ungleich aͤrgere in der Theorie und Philoſo-
phie dieſer Kuͤnſte, die oft von Unwiſſenden der
Kunſt und Wiſſenſchaft geſchrieben, alles ſeltſam
durch einander gemiſcht, beide nicht als zwo Schwe-

ſtern
B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="23"/>
beiden zu &#x017F;chaffen und zu empfinden: al&#x017F;o auch<lb/>
dies Scho&#x0364;ne vo&#x0364;llig auf <hi rendition="#fr">Eine Art</hi>, durch <hi rendition="#fr">Einerlei<lb/>
natu&#x0364;rliche Zeichen</hi>, in einem Raume neben ein-<lb/>
ander <hi rendition="#fr">wu&#x0364;rkend</hi>, nur Eins in Formen, das andre<lb/>
auf der Fla&#x0364;che. Jch muß &#x017F;agen, ich begriff da-<lb/>
bei wenig. Zwo Ku&#x0364;n&#x017F;te im Gebiet <hi rendition="#fr">Eines</hi> Sin-<lb/>
nes mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auch geradezu <hi rendition="#fr">&#x017F;ubjektiv Einerlei Ge-<lb/>
&#x017F;etze</hi> des Wahren und Scho&#x0364;nen haben, denn &#x017F;ie<lb/>
kommen zu Einer Pforte hinein, wie &#x017F;ie beide zu<lb/>
Einer heraus gingen, und ja nur fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">Einen Sinn</hi><lb/>
da &#x017F;ind. Die Mahlerei muß al&#x017F;o &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;kulptu-<lb/>
riren, die Skulptur &#x017F;o viel mahlen ko&#x0364;nnen, als<lb/>
&#x017F;ie will, und es muß <hi rendition="#fr">&#x017F;cho&#x0364;n</hi> &#x017F;eyn: &#x017F;ie dienen ja<lb/>
Einem Sinne, regen Einen Punkt der Seele;<lb/>
und nichts i&#x017F;t doch unwahrer, als dies. Jch ver-<lb/>
folgte beide Ku&#x0364;n&#x017F;te und fand, daß kein <hi rendition="#fr">einziges</hi><lb/>
Ge&#x017F;etz, keine Bemerkung, keine Wu&#x0364;rkung der<lb/>
Einen, ohn Unter&#x017F;chied und Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung auf<lb/>
die andre pa&#x017F;&#x017F;e. Jch fand, daß gerade je <hi rendition="#fr">eigner</hi><lb/>
Etwas Einer Kun&#x017F;t &#x017F;ei und gleich&#x017F;am als <hi rendition="#fr">einhei-<lb/>
mi&#x017F;ch</hi> der&#x017F;elben in ihr große Wu&#x0364;rkung thue, de&#x017F;to<lb/>
weniger la&#x017F;&#x017F;e es &#x017F;ich platt anwenden und u&#x0364;bertra-<lb/>
gen, ohne die ent&#x017F;etzlich&#x017F;te Wu&#x0364;rkung. Jch fand<lb/>
arge Bei&#x017F;piele davon in der Ausfu&#x0364;hrung, aber<lb/>
noch ungleich a&#x0364;rgere in der Theorie und Philo&#x017F;o-<lb/>
phie die&#x017F;er Ku&#x0364;n&#x017F;te, die oft von Unwi&#x017F;&#x017F;enden der<lb/>
Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ge&#x017F;chrieben, alles &#x017F;elt&#x017F;am<lb/>
durch einander gemi&#x017F;cht, beide nicht als zwo Schwe-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tern</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0026] beiden zu ſchaffen und zu empfinden: alſo auch dies Schoͤne voͤllig auf Eine Art, durch Einerlei natuͤrliche Zeichen, in einem Raume neben ein- ander wuͤrkend, nur Eins in Formen, das andre auf der Flaͤche. Jch muß ſagen, ich begriff da- bei wenig. Zwo Kuͤnſte im Gebiet Eines Sin- nes muͤſſen auch geradezu ſubjektiv Einerlei Ge- ſetze des Wahren und Schoͤnen haben, denn ſie kommen zu Einer Pforte hinein, wie ſie beide zu Einer heraus gingen, und ja nur fuͤr Einen Sinn da ſind. Die Mahlerei muß alſo ſo ſehr ſkulptu- riren, die Skulptur ſo viel mahlen koͤnnen, als ſie will, und es muß ſchoͤn ſeyn: ſie dienen ja Einem Sinne, regen Einen Punkt der Seele; und nichts iſt doch unwahrer, als dies. Jch ver- folgte beide Kuͤnſte und fand, daß kein einziges Geſetz, keine Bemerkung, keine Wuͤrkung der Einen, ohn Unterſchied und Einſchraͤnkung auf die andre paſſe. Jch fand, daß gerade je eigner Etwas Einer Kunſt ſei und gleichſam als einhei- miſch derſelben in ihr große Wuͤrkung thue, deſto weniger laſſe es ſich platt anwenden und uͤbertra- gen, ohne die entſetzlichſte Wuͤrkung. Jch fand arge Beiſpiele davon in der Ausfuͤhrung, aber noch ungleich aͤrgere in der Theorie und Philoſo- phie dieſer Kuͤnſte, die oft von Unwiſſenden der Kunſt und Wiſſenſchaft geſchrieben, alles ſeltſam durch einander gemiſcht, beide nicht als zwo Schwe- ſtern B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/26
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/26>, abgerufen am 23.11.2024.