[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.was da steht, eine Fläche, ein Nebeneinander Die weite Gegend, die ich vor mir sehe, was Warum solls also Wunder seyn, daß Blinde, Tafel.
was da ſteht, eine Flaͤche, ein Nebeneinander Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde, Tafel.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="10"/> was da ſteht, eine Flaͤche, ein <hi rendition="#fr">Nebeneinander</hi><lb/> aller und der verſchiedenſten ſichtbaren Gegenſtaͤnde<lb/> zeichnen. Dinge <hi rendition="#fr">hinter</hi> einander, oder ſolide,<lb/> maſſive Dinge als ſolche dem Auge zu geben, iſt<lb/> ſo unmoͤglich, als den Liebhaber hinter der dicken<lb/> Tapete, den Bauer innerhalb der Windmuͤhle<lb/> ſingend zu mahlen.</p><lb/> <p>Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was<lb/> iſt ſie mit allen ihren Erſcheinungen, als Bild,<lb/> Flaͤche? Jener ſich herab ſenkende Himmel und<lb/> jener Wald, der ſich in ihn verliert, und jenes<lb/> hingebreitete Feld, und dies naͤhere Waſſer, und<lb/> dieſer Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen<lb/> Bildes — ſind <hi rendition="#fr">Bild, Tafel</hi>, ein <hi rendition="#fr">Continuum<lb/> neben einander</hi>. Jeder Gegenſtand zeigt mir<lb/> gerade ſo viel von ſich, als der Spiegel von mir<lb/> ſelbſt zeigt, das iſt, <hi rendition="#fr">Figur, Vorderſeite</hi>; daß<lb/> ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken-<lb/> nen, oder aus Jdeen ſchließen.</p><lb/> <p>Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde,<lb/> denen ihr Geſicht gegeben wurde, nichts als ein<lb/> Bilderhaus, eine gefaͤrbte Flaͤche richt vor ſich<lb/> ſahen? ſehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs<lb/> nicht auf andern Wegen faͤnden. Ein Kind ſieht<lb/> Himmel und Wiege, Mond und Amme neben<lb/> einander, es greift nach dem Monde, wie nach<lb/> der Amme, denn alles iſt ihm Bild auf Einer<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Tafel.</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0013]
was da ſteht, eine Flaͤche, ein Nebeneinander
aller und der verſchiedenſten ſichtbaren Gegenſtaͤnde
zeichnen. Dinge hinter einander, oder ſolide,
maſſive Dinge als ſolche dem Auge zu geben, iſt
ſo unmoͤglich, als den Liebhaber hinter der dicken
Tapete, den Bauer innerhalb der Windmuͤhle
ſingend zu mahlen.
Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was
iſt ſie mit allen ihren Erſcheinungen, als Bild,
Flaͤche? Jener ſich herab ſenkende Himmel und
jener Wald, der ſich in ihn verliert, und jenes
hingebreitete Feld, und dies naͤhere Waſſer, und
dieſer Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen
Bildes — ſind Bild, Tafel, ein Continuum
neben einander. Jeder Gegenſtand zeigt mir
gerade ſo viel von ſich, als der Spiegel von mir
ſelbſt zeigt, das iſt, Figur, Vorderſeite; daß
ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken-
nen, oder aus Jdeen ſchließen.
Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde,
denen ihr Geſicht gegeben wurde, nichts als ein
Bilderhaus, eine gefaͤrbte Flaͤche richt vor ſich
ſahen? ſehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs
nicht auf andern Wegen faͤnden. Ein Kind ſieht
Himmel und Wiege, Mond und Amme neben
einander, es greift nach dem Monde, wie nach
der Amme, denn alles iſt ihm Bild auf Einer
Tafel.
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