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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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nen römischen Gesetze und Känntnisse konn-
ten nicht Kräfte ersetzen, die verschwunden
waren, Nerven wiederherstellen, die keinen
Lebensgeist fühlten, Triebfedern regen, die da
lagen -- also tod! ein abgematteter, im Blu-
te liegender Leichnam -- da ward in Norden
neuer Mensch gebohren. Unter frischem Him-
mel, in der Wüste und Wilde, wo es niemand
vermuthete, reifte ein Frühling starker, nahr-
hafter Gewächse, die in die schönern, südlichern
Länder -- jetzt traurigleere Aecker! -- ver-
pflanzt neue Natur annehmen, große Ernte
fürs Weltschicksal geben sollte! Gothen,
Vandalen, Burgunden, Anglen, Hunnen,
Herulen, Franken
und Bulgaren, Sklaven
und Longobarden kamen -- setzten sich, und
die ganze neuere Welt vom mittelländischen zum
schwarzen, vom atlandischen zum Nordmeer,
ist ihr Werk! ihr Geschlecht! ihre Verfas-
fung!

Nicht blos Menschenkräfte, auch welche
Gesetze, und Einrichtungen brachten sie da-
mit auf den Schauplatz der Bildung der
Welt.
Freylich verachteten sie Künste und
Wissenschaften, Ueppigkeit und Feinheit --
die die Menschheit verheeret hatten; aber wenn

sie



nen roͤmiſchen Geſetze und Kaͤnntniſſe konn-
ten nicht Kraͤfte erſetzen, die verſchwunden
waren, Nerven wiederherſtellen, die keinen
Lebensgeiſt fuͤhlten, Triebfedern regen, die da
lagen — alſo tod! ein abgematteter, im Blu-
te liegender Leichnam — da ward in Norden
neuer Menſch gebohren. Unter friſchem Him-
mel, in der Wuͤſte und Wilde, wo es niemand
vermuthete, reifte ein Fruͤhling ſtarker, nahr-
hafter Gewaͤchſe, die in die ſchoͤnern, ſuͤdlichern
Laͤnder — jetzt traurigleere Aecker! — ver-
pflanzt neue Natur annehmen, große Ernte
fuͤrs Weltſchickſal geben ſollte! Gothen,
Vandalen, Burgunden, Anglen, Hunnen,
Herulen, Franken
und Bulgaren, Sklaven
und Longobarden kamen — ſetzten ſich, und
die ganze neuere Welt vom mittellaͤndiſchen zum
ſchwarzen, vom atlandiſchen zum Nordmeer,
iſt ihr Werk! ihr Geſchlecht! ihre Verfaſ-
fung!

Nicht blos Menſchenkraͤfte, auch welche
Geſetze, und Einrichtungen brachten ſie da-
mit auf den Schauplatz der Bildung der
Welt.
Freylich verachteten ſie Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, Ueppigkeit und Feinheit —
die die Menſchheit verheeret hatten; aber wenn

ſie
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[66/0070] nen roͤmiſchen Geſetze und Kaͤnntniſſe konn- ten nicht Kraͤfte erſetzen, die verſchwunden waren, Nerven wiederherſtellen, die keinen Lebensgeiſt fuͤhlten, Triebfedern regen, die da lagen — alſo tod! ein abgematteter, im Blu- te liegender Leichnam — da ward in Norden neuer Menſch gebohren. Unter friſchem Him- mel, in der Wuͤſte und Wilde, wo es niemand vermuthete, reifte ein Fruͤhling ſtarker, nahr- hafter Gewaͤchſe, die in die ſchoͤnern, ſuͤdlichern Laͤnder — jetzt traurigleere Aecker! — ver- pflanzt neue Natur annehmen, große Ernte fuͤrs Weltſchickſal geben ſollte! Gothen, Vandalen, Burgunden, Anglen, Hunnen, Herulen, Franken und Bulgaren, Sklaven und Longobarden kamen — ſetzten ſich, und die ganze neuere Welt vom mittellaͤndiſchen zum ſchwarzen, vom atlandiſchen zum Nordmeer, iſt ihr Werk! ihr Geſchlecht! ihre Verfaſ- fung! Nicht blos Menſchenkraͤfte, auch welche Geſetze, und Einrichtungen brachten ſie da- mit auf den Schauplatz der Bildung der Welt. Freylich verachteten ſie Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, Ueppigkeit und Feinheit — die die Menſchheit verheeret hatten; aber wenn ſie

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/70>, abgerufen am 22.11.2024.