II. Also von diesen kleinfügigen Einwen- dungen, Zweck und Gesichtspunkt verfehlend, hinweg! hingestellt in die Absicht des großen Folgeganzen -- wie elend werden "manche "Modeurtheile unsers Jahrhunderts über "Vorzüge, Tugenden, Glückseligkeit so ent- "fernter, so abwechselnder Nationen, aus "blos allgemeinen Begriffen der Schule!"
Jst die menschliche Natur keine im Guten selbstständige Gottheit: sie muß alles lernen, durch Fortgänge gebildet werden, im all- mähligen Kampf immer weiter schreiten; na- türlich wird sie also von den Seiten am mei- sten, oder allein gebildet, wo sie dergleichen Anlässe zur Tugend, zum Kampf, zum Fort- gange hat -- Jn gewissem Betracht ist also jede menschliche Vollkommenheit National, Sä- kular und am genauesten betrachtet, Jndivi- duell. Man bildet nichts aus als wozu Zeit, Klima, Bedürfniß, Welt, Schicksal, An- laß giebt: von übrigen abgekehrt: die Nei- gungen oder Fähigkeiten, im Herzen schlum- mernd, können nimmer Fertigkeiten wer- den; die Nation kann also bey Tugenden der erhabensten Gattung von einer Seite, von einer andern Mängel haben, Ausnahmen machen,
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II. Alſo von dieſen kleinfuͤgigen Einwen- dungen, Zweck und Geſichtspunkt verfehlend, hinweg! hingeſtellt in die Abſicht des großen Folgeganzen — wie elend werden „manche „Modeurtheile unſers Jahrhunderts uͤber „Vorzuͤge, Tugenden, Gluͤckſeligkeit ſo ent- „fernter, ſo abwechſelnder Nationen, aus „blos allgemeinen Begriffen der Schule!„
Jſt die menſchliche Natur keine im Guten ſelbſtſtaͤndige Gottheit: ſie muß alles lernen, durch Fortgaͤnge gebildet werden, im all- maͤhligen Kampf immer weiter ſchreiten; na- tuͤrlich wird ſie alſo von den Seiten am mei- ſten, oder allein gebildet, wo ſie dergleichen Anlaͤſſe zur Tugend, zum Kampf, zum Fort- gange hat — Jn gewiſſem Betracht iſt alſo jede menſchliche Vollkommenheit National, Saͤ- kular und am genaueſten betrachtet, Jndivi- duell. Man bildet nichts aus als wozu Zeit, Klima, Beduͤrfniß, Welt, Schickſal, An- laß giebt: von uͤbrigen abgekehrt: die Nei- gungen oder Faͤhigkeiten, im Herzen ſchlum- mernd, koͤnnen nimmer Fertigkeiten wer- den; die Nation kann alſo bey Tugenden der erhabenſten Gattung von einer Seite, von einer andern Maͤngel haben, Ausnahmen machen,
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II. Alſo von dieſen kleinfuͤgigen Einwen-
dungen, Zweck und Geſichtspunkt verfehlend,
hinweg! hingeſtellt in die Abſicht des großen
Folgeganzen — wie elend werden „manche
„Modeurtheile unſers Jahrhunderts uͤber
„Vorzuͤge, Tugenden, Gluͤckſeligkeit ſo ent-
„fernter, ſo abwechſelnder Nationen, aus
„blos allgemeinen Begriffen der Schule!„
Jſt die menſchliche Natur keine im Guten
ſelbſtſtaͤndige Gottheit: ſie muß alles lernen,
durch Fortgaͤnge gebildet werden, im all-
maͤhligen Kampf immer weiter ſchreiten; na-
tuͤrlich wird ſie alſo von den Seiten am mei-
ſten, oder allein gebildet, wo ſie dergleichen
Anlaͤſſe zur Tugend, zum Kampf, zum Fort-
gange hat — Jn gewiſſem Betracht iſt alſo
jede menſchliche Vollkommenheit National, Saͤ-
kular und am genaueſten betrachtet, Jndivi-
duell. Man bildet nichts aus als wozu Zeit,
Klima, Beduͤrfniß, Welt, Schickſal, An-
laß giebt: von uͤbrigen abgekehrt: die Nei-
gungen oder Faͤhigkeiten, im Herzen ſchlum-
mernd, koͤnnen nimmer Fertigkeiten wer-
den; die Nation kann alſo bey Tugenden der
erhabenſten Gattung von einer Seite, von einer
andern Maͤngel haben, Ausnahmen machen,
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/54>, abgerufen am 16.02.2025.
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