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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Platz bleiben, wo sie ihre schönste Jugend
und Brautblüthe verlebt hat. Der Knabe ist
Hütte und Schule entwachsen und steht da --
edler Jüngling mit schönen gesalbten Glie-
dern, Liebling aller Grazien,
und Liebhaber
aller Musen, Sieger in Olympia
und All'
anderm Spiele, Geist und Körper zusammen
nur Eine blühende Blume!

Die Orakelsprüche der Kindheit und Lehr-
bilder
der mühsamen Schule waren jetzt bey-
nahe vergessen; der Jüngling entwickelte sich
aber daraus alles, was er zu Jugendweisheit
und Tugend, zu Gesang und Freude, Lust
und Leben brauchte. Die groben Arbeitkün-
ste
verachtete er, wie die blos barbarische
Pracht,
und das zu einfache Hirtenleben;
aber von allem brach er die Blüthe,
einer neuen schönen Natur. -- Hand-
werkerey
ward durch ihn schöne Kunst:
der dienstbare Landbau, freye Bürgerzunft,
schwere Bedeutungsfülle des strengen Ae-
gypten, leichte schöne griechische Liebha-
berey
in aller Art. Nun welche neue schöne
Klasse von Neigungen und Fähigkeiten, von
denen die frühere Zeit nichts wußte, zu denen
sie aber Keim gab. Die Regimentsform,

mußte
C



Platz bleiben, wo ſie ihre ſchoͤnſte Jugend
und Brautbluͤthe verlebt hat. Der Knabe iſt
Huͤtte und Schule entwachſen und ſteht da —
edler Juͤngling mit ſchoͤnen geſalbten Glie-
dern, Liebling aller Grazien,
und Liebhaber
aller Muſen, Sieger in Olympia
und All’
anderm Spiele, Geiſt und Koͤrper zuſammen
nur Eine bluͤhende Blume!

Die Orakelſpruͤche der Kindheit und Lehr-
bilder
der muͤhſamen Schule waren jetzt bey-
nahe vergeſſen; der Juͤngling entwickelte ſich
aber daraus alles, was er zu Jugendweisheit
und Tugend, zu Geſang und Freude, Luſt
und Leben brauchte. Die groben Arbeitkuͤn-
ſte
verachtete er, wie die blos barbariſche
Pracht,
und das zu einfache Hirtenleben;
aber von allem brach er die Bluͤthe,
einer neuen ſchoͤnen Natur. — Hand-
werkerey
ward durch ihn ſchoͤne Kunſt:
der dienſtbare Landbau, freye Buͤrgerzunft,
ſchwere Bedeutungsfuͤlle des ſtrengen Ae-
gypten, leichte ſchoͤne griechiſche Liebha-
berey
in aller Art. Nun welche neue ſchoͤne
Klaſſe von Neigungen und Faͤhigkeiten, von
denen die fruͤhere Zeit nichts wußte, zu denen
ſie aber Keim gab. Die Regimentsform,

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[33/0037] Platz bleiben, wo ſie ihre ſchoͤnſte Jugend und Brautbluͤthe verlebt hat. Der Knabe iſt Huͤtte und Schule entwachſen und ſteht da — edler Juͤngling mit ſchoͤnen geſalbten Glie- dern, Liebling aller Grazien, und Liebhaber aller Muſen, Sieger in Olympia und All’ anderm Spiele, Geiſt und Koͤrper zuſammen nur Eine bluͤhende Blume! Die Orakelſpruͤche der Kindheit und Lehr- bilder der muͤhſamen Schule waren jetzt bey- nahe vergeſſen; der Juͤngling entwickelte ſich aber daraus alles, was er zu Jugendweisheit und Tugend, zu Geſang und Freude, Luſt und Leben brauchte. Die groben Arbeitkuͤn- ſte verachtete er, wie die blos barbariſche Pracht, und das zu einfache Hirtenleben; aber von allem brach er die Bluͤthe, einer neuen ſchoͤnen Natur. — Hand- werkerey ward durch ihn ſchoͤne Kunſt: der dienſtbare Landbau, freye Buͤrgerzunft, ſchwere Bedeutungsfuͤlle des ſtrengen Ae- gypten, leichte ſchoͤne griechiſche Liebha- berey in aller Art. Nun welche neue ſchoͤne Klaſſe von Neigungen und Faͤhigkeiten, von denen die fruͤhere Zeit nichts wußte, zu denen ſie aber Keim gab. Die Regimentsform, mußte C

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/37>, abgerufen am 28.03.2024.