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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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scher Genauigkeit und Ackerfleißes konnten
diese Künste nicht anders, als zu einem hohen
Grad mechanischer Vollkommenheit gelan-
gen: der Sinn des strengen Fleißes, der Si-
cherheit
und Ordnung gieng durch alles: je-
der war in der Kunde der Gesetzgebung, der-
selben mit Bedürfniß und Genuß verpflichtet:
also ward auch der Mensch unter sie gefes-
selt:
die Neigungen, die dort blos väterlich,
kindlich, schäfermäßig, patriarchisch gewe-
sen waren, wurden hier bürgerlich, dörflich
städtisch.
Das Kind war dem Flügelkleide
entwachsen: der Knabe saß auf der Schulbank
und lernte Ordnung, Fleiß, Bürgersitten.

Eine genaue Vergleichung des morgenlän-
dischen und ägyptischen Geistes müste zeigen,
daß meine Analogie von menschlichen Lebens-
altern hergenommen, nicht Spiel sey. Of-
fenbar war allem, was beyde Alter auch ge-
meinschaftlich hatten, der himmlische Anstrich
genommen, und es mit Erdehaltung und
Ackerleim versetzt: Aegyptens Känntnisse wa-
ren nicht mehr väterliche Orakelsprüche der
Gottheit,
sondern schon Gesetze, Politische
Regeln der Sicherheit, und der Rest von je-
nen ward blos als heiliges Bild an die Tafel

ge-
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ſcher Genauigkeit und Ackerfleißes konnten
dieſe Kuͤnſte nicht anders, als zu einem hohen
Grad mechaniſcher Vollkommenheit gelan-
gen: der Sinn des ſtrengen Fleißes, der Si-
cherheit
und Ordnung gieng durch alles: je-
der war in der Kunde der Geſetzgebung, der-
ſelben mit Beduͤrfniß und Genuß verpflichtet:
alſo ward auch der Menſch unter ſie gefeſ-
ſelt:
die Neigungen, die dort blos vaͤterlich,
kindlich, ſchaͤfermaͤßig, patriarchiſch gewe-
ſen waren, wurden hier buͤrgerlich, doͤrflich
ſtaͤdtiſch.
Das Kind war dem Fluͤgelkleide
entwachſen: der Knabe ſaß auf der Schulbank
und lernte Ordnung, Fleiß, Buͤrgerſitten.

Eine genaue Vergleichung des morgenlaͤn-
diſchen und aͤgyptiſchen Geiſtes muͤſte zeigen,
daß meine Analogie von menſchlichen Lebens-
altern hergenommen, nicht Spiel ſey. Of-
fenbar war allem, was beyde Alter auch ge-
meinſchaftlich hatten, der himmliſche Anſtrich
genommen, und es mit Erdehaltung und
Ackerleim verſetzt: Aegyptens Kaͤnntniſſe wa-
ren nicht mehr vaͤterliche Orakelſpruͤche der
Gottheit,
ſondern ſchon Geſetze, Politiſche
Regeln der Sicherheit, und der Reſt von je-
nen ward blos als heiliges Bild an die Tafel

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[21/0025] ſcher Genauigkeit und Ackerfleißes konnten dieſe Kuͤnſte nicht anders, als zu einem hohen Grad mechaniſcher Vollkommenheit gelan- gen: der Sinn des ſtrengen Fleißes, der Si- cherheit und Ordnung gieng durch alles: je- der war in der Kunde der Geſetzgebung, der- ſelben mit Beduͤrfniß und Genuß verpflichtet: alſo ward auch der Menſch unter ſie gefeſ- ſelt: die Neigungen, die dort blos vaͤterlich, kindlich, ſchaͤfermaͤßig, patriarchiſch gewe- ſen waren, wurden hier buͤrgerlich, doͤrflich ſtaͤdtiſch. Das Kind war dem Fluͤgelkleide entwachſen: der Knabe ſaß auf der Schulbank und lernte Ordnung, Fleiß, Buͤrgerſitten. Eine genaue Vergleichung des morgenlaͤn- diſchen und aͤgyptiſchen Geiſtes muͤſte zeigen, daß meine Analogie von menſchlichen Lebens- altern hergenommen, nicht Spiel ſey. Of- fenbar war allem, was beyde Alter auch ge- meinſchaftlich hatten, der himmliſche Anſtrich genommen, und es mit Erdehaltung und Ackerleim verſetzt: Aegyptens Kaͤnntniſſe wa- ren nicht mehr vaͤterliche Orakelſpruͤche der Gottheit, ſondern ſchon Geſetze, Politiſche Regeln der Sicherheit, und der Reſt von je- nen ward blos als heiliges Bild an die Tafel ge- B 3

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/25>, abgerufen am 26.04.2024.