Theil des Knabenalters der Menschheit an Neigungen und Känntnissen gebildet werden sollte, wie in Orient die Kindheit! Eben so leicht und unvermerkt als dort die Genese, war hier die Metamorphose.
Aegypten war ohne Viehweide und Hir- tenleben: der Patriarchengeist der ersten Hütte gieng also verlohren. Aber aus Nilschlamm gebildet und von ihm befruchtet, gabs, bey- nahe eben so leicht, den vortreflichsten Acker- bau: Also ward die Schäferwelt von Sit- ten, Neigungen, Känntnissen ein Bezirk von Ackermenschen. Das Wanderleben hörte auf: es wurden veste Sitze, Landeigenthum. Länder musten ausgemessen, jedem das Seine bestimmt, jeder bey dem Seinen beschützt wer- den: jeden konnte man also auch bey dem Seinen sinden -- es ward Landessicherheit, Pflege der Gerechtigkeit, Ordnung, Policey, wie alles im Wanderleben des Orients nie möglich gewesen: es ward neue Welt. Nun kam eine Jndustrie auf, wie sie der selige, müßige Hüttenwohner, der Pilger und Fremd- ling auf Erden, nicht gekannt hatte: Künste erfunden, die jener weder brauchte noch zu brauchen Lust fühlte. Bey dem Geist ägypti-
scher
Theil des Knabenalters der Menſchheit an Neigungen und Kaͤnntniſſen gebildet werden ſollte, wie in Orient die Kindheit! Eben ſo leicht und unvermerkt als dort die Geneſe, war hier die Metamorphoſe.
Aegypten war ohne Viehweide und Hir- tenleben: der Patriarchengeiſt der erſten Huͤtte gieng alſo verlohren. Aber aus Nilſchlamm gebildet und von ihm befruchtet, gabs, bey- nahe eben ſo leicht, den vortreflichſten Acker- bau: Alſo ward die Schaͤferwelt von Sit- ten, Neigungen, Kaͤnntniſſen ein Bezirk von Ackermenſchen. Das Wanderleben hoͤrte auf: es wurden veſte Sitze, Landeigenthum. Laͤnder muſten ausgemeſſen, jedem das Seine beſtimmt, jeder bey dem Seinen beſchuͤtzt wer- den: jeden konnte man alſo auch bey dem Seinen ſinden — es ward Landesſicherheit, Pflege der Gerechtigkeit, Ordnung, Policey, wie alles im Wanderleben des Orients nie moͤglich geweſen: es ward neue Welt. Nun kam eine Jnduſtrie auf, wie ſie der ſelige, muͤßige Huͤttenwohner, der Pilger und Fremd- ling auf Erden, nicht gekannt hatte: Kuͤnſte erfunden, die jener weder brauchte noch zu brauchen Luſt fuͤhlte. Bey dem Geiſt aͤgypti-
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[20/0024]
Theil des Knabenalters der Menſchheit an
Neigungen und Kaͤnntniſſen gebildet werden
ſollte, wie in Orient die Kindheit! Eben ſo
leicht und unvermerkt als dort die Geneſe, war
hier die Metamorphoſe.
Aegypten war ohne Viehweide und Hir-
tenleben: der Patriarchengeiſt der erſten Huͤtte
gieng alſo verlohren. Aber aus Nilſchlamm
gebildet und von ihm befruchtet, gabs, bey-
nahe eben ſo leicht, den vortreflichſten Acker-
bau: Alſo ward die Schaͤferwelt von Sit-
ten, Neigungen, Kaͤnntniſſen ein Bezirk von
Ackermenſchen. Das Wanderleben hoͤrte
auf: es wurden veſte Sitze, Landeigenthum.
Laͤnder muſten ausgemeſſen, jedem das Seine
beſtimmt, jeder bey dem Seinen beſchuͤtzt wer-
den: jeden konnte man alſo auch bey dem
Seinen ſinden — es ward Landesſicherheit,
Pflege der Gerechtigkeit, Ordnung, Policey,
wie alles im Wanderleben des Orients nie
moͤglich geweſen: es ward neue Welt. Nun
kam eine Jnduſtrie auf, wie ſie der ſelige,
muͤßige Huͤttenwohner, der Pilger und Fremd-
ling auf Erden, nicht gekannt hatte: Kuͤnſte
erfunden, die jener weder brauchte noch zu
brauchen Luſt fuͤhlte. Bey dem Geiſt aͤgypti-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/24>, abgerufen am 16.02.2025.
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