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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Kern von Wesen und Glückfähigkeit auf-
bewahrt seyn könne, und nach aller menschli-
chen Erwartung fast seyn werde.

-- Bedachte nicht, daß es unendlich mehr
Fürsorge des Allvaters zeige, wenn dieß ge-
schähe; wenn in der Menschheit ein unsicht-
barer Keim der Glücks- und Tugendempfäng-
lichkeit auf der ganzen Erde
und in allen Zeit-
altern liege,
der verschiedlich ausgebildet, zwar
in verschiednen Formen erscheine, aber inner-
lich nur ein Maas und Mischung von
Kräften.

-- Bedachte endlich nicht, -- allwissendes
Geschöpf! -- daß mit dem Menschengeschlecht
ein grösserer Plan Gottes im Ganzen seyn
könne, den eben ein einzelnes Geschöpf nicht
übersiehet, eben weil nichts auf etwas blos
einzelnes, zumal nicht auf den Philosophen
oder Thronsitzer des achtzehnden Jahrhun-
derts als letzte Endlinie liefe, -- weil etwa
noch alle Scenen, in deren jedem jeder Schau-
spieler nur Rolle hat, in der er streben und
glücklich seyn kann -- alle Scenen noch etwa
ein Ganzes, eine Hauptvorstellung machen
können, von der freylich der einzelne, eigen-

nützige



Kern von Weſen und Gluͤckfaͤhigkeit auf-
bewahrt ſeyn koͤnne, und nach aller menſchli-
chen Erwartung faſt ſeyn werde.

— Bedachte nicht, daß es unendlich mehr
Fuͤrſorge des Allvaters zeige, wenn dieß ge-
ſchaͤhe; wenn in der Menſchheit ein unſicht-
barer Keim der Gluͤcks- und Tugendempfaͤng-
lichkeit auf der ganzen Erde
und in allen Zeit-
altern liege,
der verſchiedlich ausgebildet, zwar
in verſchiednen Formen erſcheine, aber inner-
lich nur ein Maas und Miſchung von
Kraͤften.

— Bedachte endlich nicht, — allwiſſendes
Geſchoͤpf! — daß mit dem Menſchengeſchlecht
ein groͤſſerer Plan Gottes im Ganzen ſeyn
koͤnne, den eben ein einzelnes Geſchoͤpf nicht
uͤberſiehet, eben weil nichts auf etwas blos
einzelnes, zumal nicht auf den Philoſophen
oder Thronſitzer des achtzehnden Jahrhun-
derts als letzte Endlinie liefe, — weil etwa
noch alle Scenen, in deren jedem jeder Schau-
ſpieler nur Rolle hat, in der er ſtreben und
gluͤcklich ſeyn kann — alle Scenen noch etwa
ein Ganzes, eine Hauptvorſtellung machen
koͤnnen, von der freylich der einzelne, eigen-

nuͤtzige
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[141/0145] Kern von Weſen und Gluͤckfaͤhigkeit auf- bewahrt ſeyn koͤnne, und nach aller menſchli- chen Erwartung faſt ſeyn werde. — Bedachte nicht, daß es unendlich mehr Fuͤrſorge des Allvaters zeige, wenn dieß ge- ſchaͤhe; wenn in der Menſchheit ein unſicht- barer Keim der Gluͤcks- und Tugendempfaͤng- lichkeit auf der ganzen Erde und in allen Zeit- altern liege, der verſchiedlich ausgebildet, zwar in verſchiednen Formen erſcheine, aber inner- lich nur ein Maas und Miſchung von Kraͤften. — Bedachte endlich nicht, — allwiſſendes Geſchoͤpf! — daß mit dem Menſchengeſchlecht ein groͤſſerer Plan Gottes im Ganzen ſeyn koͤnne, den eben ein einzelnes Geſchoͤpf nicht uͤberſiehet, eben weil nichts auf etwas blos einzelnes, zumal nicht auf den Philoſophen oder Thronſitzer des achtzehnden Jahrhun- derts als letzte Endlinie liefe, — weil etwa noch alle Scenen, in deren jedem jeder Schau- ſpieler nur Rolle hat, in der er ſtreben und gluͤcklich ſeyn kann — alle Scenen noch etwa ein Ganzes, eine Hauptvorſtellung machen koͤnnen, von der freylich der einzelne, eigen- nuͤtzige

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/145>, abgerufen am 22.11.2024.