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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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neue Schöpfung habt ihr geschaffen! Wir
sind jetzt im dreyzehnten Jahre reif, und durch
stumme und laute Sünden im zwanzigsten ver-
blühet.
Wir genießen das Leben, recht in der
Morgenröthe und schönsten Blüthe!

"Lebensart und Sitten Europa's!" Wel-
che gothische Tugend, Bescheidenheit, ju-
gendliche Blödigkeit, Schaam!
t) Frühe
werden wir des zweydeutigen, unbehüflichen
Mantels der Tugend los; Gesellschaften, Frau-
enzimmer, (die nun am meisten bey Schaam
entbehren! und die sie auch am wenigsten nö-
thig
haben!) selbst unsere Aeltern wischen sie
uns frühe von den Wangen. Oder wenn das
nicht, Lehrmeister guter Sitten! wir gehen
auf Reisen, und wer wird sein ausgewachsenes
Kleid der Kindheit, außer Mode und Anstand
wieder bringen? Wir haben Dreustigkeit, Ton
der Gesellschaft, Leichtigkeit
uns alles zu be-
dienen! schöne Philosophie! "Zärtlichkeit
"des Geschmacks und der Leidenschaften!" u)
Jmmer waren Griechen und Römer in ihrem
Geschmacke noch wie grob! hatten am wenig-

sten
t) Hurts Gespräche über das Reisen.
u) Hume pol. Vers. 1. 17. 23.



neue Schoͤpfung habt ihr geſchaffen! Wir
ſind jetzt im dreyzehnten Jahre reif, und durch
ſtumme und laute Suͤnden im zwanzigſten ver-
bluͤhet.
Wir genießen das Leben, recht in der
Morgenroͤthe und ſchoͤnſten Bluͤthe!

Lebensart und Sitten Europa’s!„ Wel-
che gothiſche Tugend, Beſcheidenheit, ju-
gendliche Bloͤdigkeit, Schaam!
t) Fruͤhe
werden wir des zweydeutigen, unbehuͤflichen
Mantels der Tugend los; Geſellſchaften, Frau-
enzimmer, (die nun am meiſten bey Schaam
entbehren! und die ſie auch am wenigſten noͤ-
thig
haben!) ſelbſt unſere Aeltern wiſchen ſie
uns fruͤhe von den Wangen. Oder wenn das
nicht, Lehrmeiſter guter Sitten! wir gehen
auf Reiſen, und wer wird ſein ausgewachſenes
Kleid der Kindheit, außer Mode und Anſtand
wieder bringen? Wir haben Dreuſtigkeit, Ton
der Geſellſchaft, Leichtigkeit
uns alles zu be-
dienen! ſchoͤne Philoſophie! „Zaͤrtlichkeit
des Geſchmacks und der Leidenſchaften!u)
Jmmer waren Griechen und Roͤmer in ihrem
Geſchmacke noch wie grob! hatten am wenig-

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t) Hurts Geſpraͤche uͤber das Reiſen.
u) Hume pol. Verſ. 1. 17. 23.
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[128/0132] neue Schoͤpfung habt ihr geſchaffen! Wir ſind jetzt im dreyzehnten Jahre reif, und durch ſtumme und laute Suͤnden im zwanzigſten ver- bluͤhet. Wir genießen das Leben, recht in der Morgenroͤthe und ſchoͤnſten Bluͤthe! „Lebensart und Sitten Europa’s!„ Wel- che gothiſche Tugend, Beſcheidenheit, ju- gendliche Bloͤdigkeit, Schaam! t) Fruͤhe werden wir des zweydeutigen, unbehuͤflichen Mantels der Tugend los; Geſellſchaften, Frau- enzimmer, (die nun am meiſten bey Schaam entbehren! und die ſie auch am wenigſten noͤ- thig haben!) ſelbſt unſere Aeltern wiſchen ſie uns fruͤhe von den Wangen. Oder wenn das nicht, Lehrmeiſter guter Sitten! wir gehen auf Reiſen, und wer wird ſein ausgewachſenes Kleid der Kindheit, außer Mode und Anſtand wieder bringen? Wir haben Dreuſtigkeit, Ton der Geſellſchaft, Leichtigkeit uns alles zu be- dienen! ſchoͤne Philoſophie! „Zaͤrtlichkeit „des Geſchmacks und der Leidenſchaften!„ u) Jmmer waren Griechen und Roͤmer in ihrem Geſchmacke noch wie grob! hatten am wenig- ſten t) Hurts Geſpraͤche uͤber das Reiſen. u) Hume pol. Verſ. 1. 17. 23.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/132>, abgerufen am 23.11.2024.