Jndeß auch von diesem heroischen Anfän- ger der Bildung menschlichen Geschlechts weg- gesehen: nach den bloßen Trümmern der weltlichen Geschichte und nach dem flüchtig- sten Raisonnement über dieselbe a la Vol- taire -- welche Zustände können erdacht werden, erste Neigungen des menschlichen Herzens hervorzulocken, zu bilden, und vest- zubilden, als die wir schon in den Traditionen unsrer ältesten Geschichte würklich angewandt finden? Das Hirtenleben im schönsten Kli- ma der Welt, wo die freywillige Natur den einfachsten Bedürfuissen so zuvor oder zu Hülfe kommt, die ruhige und zugleich wan- dernde Lebensart der väterlichen Patriar- chenhütte, mit allem, was sie giebt, und dem Auge entziehet, der damalige Kreis menschli- cher Bedürfnisse, Beschäftigungen und Ver- gnügen, nebst allem, was nach Fabel oder Geschichte dazu kam, diese Beschäftigungen und Vergnügen zu lenken -- man denke sich alles in sein natürliches, lebendiges Licht -- welch ein erwählter Garten Gottes zur Er- ziehung der ersten, zartesten Menschenge- wächse! Siehe diesen Mann voll Kraft und Gefühl Gottes, aber so innig und ruhig füh- lend, als hier der Saft im Baum treibt, als
der
Jndeß auch von dieſem heroiſchen Anfaͤn- ger der Bildung menſchlichen Geſchlechts weg- geſehen: nach den bloßen Truͤmmern der weltlichen Geſchichte und nach dem fluͤchtig- ſten Raiſonnement uͤber dieſelbe à la Vol- taire — welche Zuſtaͤnde koͤnnen erdacht werden, erſte Neigungen des menſchlichen Herzens hervorzulocken, zu bilden, und veſt- zubilden, als die wir ſchon in den Traditionen unſrer aͤlteſten Geſchichte wuͤrklich angewandt finden? Das Hirtenleben im ſchoͤnſten Kli- ma der Welt, wo die freywillige Natur den einfachſten Beduͤrfuiſſen ſo zuvor oder zu Huͤlfe kommt, die ruhige und zugleich wan- dernde Lebensart der vaͤterlichen Patriar- chenhuͤtte, mit allem, was ſie giebt, und dem Auge entziehet, der damalige Kreis menſchli- cher Beduͤrfniſſe, Beſchaͤftigungen und Ver- gnuͤgen, nebſt allem, was nach Fabel oder Geſchichte dazu kam, dieſe Beſchaͤftigungen und Vergnuͤgen zu lenken — man denke ſich alles in ſein natuͤrliches, lebendiges Licht — welch ein erwaͤhlter Garten Gottes zur Er- ziehung der erſten, zarteſten Menſchenge- waͤchſe! Siehe dieſen Mann voll Kraft und Gefuͤhl Gottes, aber ſo innig und ruhig fuͤh- lend, als hier der Saft im Baum treibt, als
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Jndeß auch von dieſem heroiſchen Anfaͤn-
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geſehen: nach den bloßen Truͤmmern der
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ſten Raiſonnement uͤber dieſelbe à la Vol-
taire — welche Zuſtaͤnde koͤnnen erdacht
werden, erſte Neigungen des menſchlichen
Herzens hervorzulocken, zu bilden, und veſt-
zubilden, als die wir ſchon in den Traditionen
unſrer aͤlteſten Geſchichte wuͤrklich angewandt
finden? Das Hirtenleben im ſchoͤnſten Kli-
ma der Welt, wo die freywillige Natur den
einfachſten Beduͤrfuiſſen ſo zuvor oder zu
Huͤlfe kommt, die ruhige und zugleich wan-
dernde Lebensart der vaͤterlichen Patriar-
chenhuͤtte, mit allem, was ſie giebt, und dem
Auge entziehet, der damalige Kreis menſchli-
cher Beduͤrfniſſe, Beſchaͤftigungen und Ver-
gnuͤgen, nebſt allem, was nach Fabel oder
Geſchichte dazu kam, dieſe Beſchaͤftigungen
und Vergnuͤgen zu lenken — man denke
ſich alles in ſein natuͤrliches, lebendiges Licht —
welch ein erwaͤhlter Garten Gottes zur Er-
ziehung der erſten, zarteſten Menſchenge-
waͤchſe! Siehe dieſen Mann voll Kraft und
Gefuͤhl Gottes, aber ſo innig und ruhig fuͤh-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/12>, abgerufen am 16.07.2024.
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