Schönheit dich erfüllen soll: so liesest du wie ein Meßkünstler und Handwerker, oder Tage- löhner.)
Aber siehest du den Ausdruck als ein Ge- schöpf, das sich die Empfindung geschaffen, als ein Sinnbild, in dem sich ihr Bildniß abdrucket; siehest du den ganzen Ausdruck als einen Voten des Gedankens, und als den Pallast, den seine ganze Größe erfüllet: so wirst du mit den Augen sehen, mit denen Plato sah, wenn er sich der unkörperlichen Schön- heit aus dem Reiche der Geister erinnerte, mit denen Winkelmann siehet, wenn er bei dem Apoll im Belvedere, oder dem Herkules im Torso oder dem Laokoon, oder der Niobe ins Reich unkörperlicher Jdeen ge- räth, du wirst mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem Mengs die Schönheit siehet.
Jch rede nicht von einzelnen Stücken, son- dern von dem vollendeten Ausdrucke eines ganzen Werks der ältesten Zeiten, wo ich Gedanken und Rede eines Schriftstellers, mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen Lesern vor Augen stelle. Wenn hier die Stärke der Gedanken sich mit dem starken
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Schoͤnheit dich erfuͤllen ſoll: ſo lieſeſt du wie ein Meßkuͤnſtler und Handwerker, oder Tage- loͤhner.)
Aber ſieheſt du den Ausdruck als ein Ge- ſchoͤpf, das ſich die Empfindung geſchaffen, als ein Sinnbild, in dem ſich ihr Bildniß abdrucket; ſieheſt du den ganzen Ausdruck als einen Voten des Gedankens, und als den Pallaſt, den ſeine ganze Groͤße erfuͤllet: ſo wirſt du mit den Augen ſehen, mit denen Plato ſah, wenn er ſich der unkoͤrperlichen Schoͤn- heit aus dem Reiche der Geiſter erinnerte, mit denen Winkelmann ſiehet, wenn er bei dem Apoll im Belvedere, oder dem Herkules im Torſo oder dem Laokoon, oder der Niobe ins Reich unkoͤrperlicher Jdeen ge- raͤth, du wirſt mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem Mengs die Schoͤnheit ſiehet.
Jch rede nicht von einzelnen Stuͤcken, ſon- dern von dem vollendeten Ausdrucke eines ganzen Werks der aͤlteſten Zeiten, wo ich Gedanken und Rede eines Schriftſtellers, mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen Leſern vor Augen ſtelle. Wenn hier die Staͤrke der Gedanken ſich mit dem ſtarken
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Schoͤnheit dich erfuͤllen ſoll: ſo lieſeſt du wie
ein Meßkuͤnſtler und Handwerker, oder Tage-
loͤhner.)
Aber ſieheſt du den Ausdruck als ein Ge-
ſchoͤpf, das ſich die Empfindung geſchaffen,
als ein Sinnbild, in dem ſich ihr Bildniß
abdrucket; ſieheſt du den ganzen Ausdruck
als einen Voten des Gedankens, und als den
Pallaſt, den ſeine ganze Groͤße erfuͤllet: ſo
wirſt du mit den Augen ſehen, mit denen Plato
ſah, wenn er ſich der unkoͤrperlichen Schoͤn-
heit aus dem Reiche der Geiſter erinnerte, mit
denen Winkelmann ſiehet, wenn er bei dem
Apoll im Belvedere, oder dem Herkules
im Torſo oder dem Laokoon, oder der
Niobe ins Reich unkoͤrperlicher Jdeen ge-
raͤth, du wirſt mit dem Auge deine Hand leiten,
mit welchem Mengs die Schoͤnheit ſiehet.
Jch rede nicht von einzelnen Stuͤcken, ſon-
dern von dem vollendeten Ausdrucke eines
ganzen Werks der aͤlteſten Zeiten, wo ich
Gedanken und Rede eines Schriftſtellers,
mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen
Leſern vor Augen ſtelle. Wenn hier die
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/81>, abgerufen am 04.05.2024.
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