Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

das blendende Teint französischer Wendungen,
oder in das oft überladene Kolorit brittischer
Bilder verliebt haben, mich für einen Träu-
mer und Enthusiasten schelten werden.

Aus dem seeligen Reich der Götter ward
die Empfindung, wie die Seele des Plato,
heruntergesandt in den Schoos der irrdischen
einfältigen Natur. Jn dem Schoos dieser
gesunden, und starken und fruchtbaren Mutter
sollte die Bewohnerinn des Himmels einen
schönen und blühenden Körper sich zum Wohn-
hause bereiten: daher nahm sie das zarteste
und feinste Geblüt ihrer Mutter zur sanften
Hülle, und ward die Schöpferinn des Gebäu-
des rings um sich. Kein Sturm widriger
Wallungen und kein Blizstral von ungesun-
den Zuckungen hinderte ihr Gewebe, in wel-
ches sie, ohne Gefühl gewaltsamer Störun-
gen ihr Bild voll ruhiger Stille eintrug: als
das Bild, einer Freundinn der Götter und
Gespielinn der Göttinnen. Sie vollendete
ihre Schöpfung: sie brachte die Frucht zur
Reife: sie vollführte den Pallast ihrer Woh-
nung: ihr gelang das Bild ihrer selbst, das
von ihr zeugen sollte. (Kurz! der himmli-

sche
E 4

das blendende Teint franzoͤſiſcher Wendungen,
oder in das oft uͤberladene Kolorit brittiſcher
Bilder verliebt haben, mich fuͤr einen Traͤu-
mer und Enthuſiaſten ſchelten werden.

Aus dem ſeeligen Reich der Goͤtter ward
die Empfindung, wie die Seele des Plato,
heruntergeſandt in den Schoos der irrdiſchen
einfaͤltigen Natur. Jn dem Schoos dieſer
geſunden, und ſtarken und fruchtbaren Mutter
ſollte die Bewohnerinn des Himmels einen
ſchoͤnen und bluͤhenden Koͤrper ſich zum Wohn-
hauſe bereiten: daher nahm ſie das zarteſte
und feinſte Gebluͤt ihrer Mutter zur ſanften
Huͤlle, und ward die Schoͤpferinn des Gebaͤu-
des rings um ſich. Kein Sturm widriger
Wallungen und kein Blizſtral von ungeſun-
den Zuckungen hinderte ihr Gewebe, in wel-
ches ſie, ohne Gefuͤhl gewaltſamer Stoͤrun-
gen ihr Bild voll ruhiger Stille eintrug: als
das Bild, einer Freundinn der Goͤtter und
Geſpielinn der Goͤttinnen. Sie vollendete
ihre Schoͤpfung: ſie brachte die Frucht zur
Reife: ſie vollfuͤhrte den Pallaſt ihrer Woh-
nung: ihr gelang das Bild ihrer ſelbſt, das
von ihr zeugen ſollte. (Kurz! der himmli-

ſche
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0079" n="71"/>
das blendende Teint franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher Wendungen,<lb/>
oder in das oft u&#x0364;berladene Kolorit britti&#x017F;cher<lb/>
Bilder verliebt haben, mich fu&#x0364;r einen Tra&#x0364;u-<lb/>
mer und Enthu&#x017F;ia&#x017F;ten &#x017F;chelten werden.</p><lb/>
                <p>Aus dem &#x017F;eeligen Reich der Go&#x0364;tter ward<lb/>
die <hi rendition="#fr">Empfindung,</hi> wie die Seele <hi rendition="#fr">des Plato,</hi><lb/>
herunterge&#x017F;andt in den Schoos der irrdi&#x017F;chen<lb/>
einfa&#x0364;ltigen Natur. Jn dem Schoos die&#x017F;er<lb/>
ge&#x017F;unden, und &#x017F;tarken und fruchtbaren Mutter<lb/>
&#x017F;ollte die Bewohnerinn des Himmels einen<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen und blu&#x0364;henden Ko&#x0364;rper &#x017F;ich zum Wohn-<lb/>
hau&#x017F;e bereiten: daher nahm &#x017F;ie das zarte&#x017F;te<lb/>
und fein&#x017F;te Geblu&#x0364;t ihrer Mutter zur &#x017F;anften<lb/>
Hu&#x0364;lle, und ward die Scho&#x0364;pferinn des Geba&#x0364;u-<lb/>
des rings um &#x017F;ich. Kein Sturm widriger<lb/>
Wallungen und kein Bliz&#x017F;tral von unge&#x017F;un-<lb/>
den Zuckungen hinderte ihr Gewebe, in wel-<lb/>
ches &#x017F;ie, ohne Gefu&#x0364;hl gewalt&#x017F;amer Sto&#x0364;run-<lb/>
gen ihr Bild voll ruhiger Stille eintrug: als<lb/>
das Bild, einer Freundinn der Go&#x0364;tter und<lb/>
Ge&#x017F;pielinn der Go&#x0364;ttinnen. Sie vollendete<lb/>
ihre Scho&#x0364;pfung: &#x017F;ie brachte die Frucht zur<lb/>
Reife: &#x017F;ie vollfu&#x0364;hrte den Palla&#x017F;t ihrer Woh-<lb/>
nung: ihr gelang das Bild ihrer &#x017F;elb&#x017F;t, das<lb/>
von ihr zeugen &#x017F;ollte. (Kurz! der himmli-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;che</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] das blendende Teint franzoͤſiſcher Wendungen, oder in das oft uͤberladene Kolorit brittiſcher Bilder verliebt haben, mich fuͤr einen Traͤu- mer und Enthuſiaſten ſchelten werden. Aus dem ſeeligen Reich der Goͤtter ward die Empfindung, wie die Seele des Plato, heruntergeſandt in den Schoos der irrdiſchen einfaͤltigen Natur. Jn dem Schoos dieſer geſunden, und ſtarken und fruchtbaren Mutter ſollte die Bewohnerinn des Himmels einen ſchoͤnen und bluͤhenden Koͤrper ſich zum Wohn- hauſe bereiten: daher nahm ſie das zarteſte und feinſte Gebluͤt ihrer Mutter zur ſanften Huͤlle, und ward die Schoͤpferinn des Gebaͤu- des rings um ſich. Kein Sturm widriger Wallungen und kein Blizſtral von ungeſun- den Zuckungen hinderte ihr Gewebe, in wel- ches ſie, ohne Gefuͤhl gewaltſamer Stoͤrun- gen ihr Bild voll ruhiger Stille eintrug: als das Bild, einer Freundinn der Goͤtter und Geſpielinn der Goͤttinnen. Sie vollendete ihre Schoͤpfung: ſie brachte die Frucht zur Reife: ſie vollfuͤhrte den Pallaſt ihrer Woh- nung: ihr gelang das Bild ihrer ſelbſt, das von ihr zeugen ſollte. (Kurz! der himmli- ſche E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/79
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/79>, abgerufen am 03.05.2024.