Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

"che Schriftsteller brauchen will, und brau-
"chen muß, die aber der gemeine Mann nicht
"versteht, wenn er sie auch zu verstehen scheint.
"Er ist immer noch achtzig, hundert Jahre
"zurück; seine Bibel, sein Katechismus, seine
"alte Bücher, sein täglicher Gebrauch enthal-
"ten den ganzen Umfang der Begriffe und
"Ausdrücke, die ihm bekannt und geläufig
"sind. Was davon abgehet, ist für ihn eine
"fremde Sprache, die er weder Geschicke,
"noch Muße, noch Geduld hat, zu erlernen; -
"die ihm auch nicht nöthig ist." -- Nun
gehe man nach diesem Gesichtspunkte die
Wochenschriften, die Erbauungsbücher,
die Predigten durch; alles soll für den ge-
meinen Mann seyn, und wenig ist für ihn.
Hier empfehle ich jedem, der für den gemei-
nen Mann schreiben will, den Artikel aus
Abbts Buche vom Verdienst zu lesen, der
vom Verdienst des Schriftstellers handelt:
seine Vorschriften sind gülden; aber wie
schwer? -- das kann dieser große Mann zum
Theil selbst zeigen, der wohl nicht, ohngeach-
tet seiner originalen Schreibart, den Ton al-
ler derer getroffen, in deren Händen seine

Schrift

„che Schriftſteller brauchen will, und brau-
„chen muß, die aber der gemeine Mann nicht
„verſteht, wenn er ſie auch zu verſtehen ſcheint.
„Er iſt immer noch achtzig, hundert Jahre
„zuruͤck; ſeine Bibel, ſein Katechiſmus, ſeine
„alte Buͤcher, ſein taͤglicher Gebrauch enthal-
„ten den ganzen Umfang der Begriffe und
„Ausdruͤcke, die ihm bekannt und gelaͤufig
„ſind. Was davon abgehet, iſt fuͤr ihn eine
„fremde Sprache, die er weder Geſchicke,
„noch Muße, noch Geduld hat, zu erlernen; –
„die ihm auch nicht noͤthig iſt.„ — Nun
gehe man nach dieſem Geſichtspunkte die
Wochenſchriften, die Erbauungsbuͤcher,
die Predigten durch; alles ſoll fuͤr den ge-
meinen Mann ſeyn, und wenig iſt fuͤr ihn.
Hier empfehle ich jedem, der fuͤr den gemei-
nen Mann ſchreiben will, den Artikel aus
Abbts Buche vom Verdienſt zu leſen, der
vom Verdienſt des Schriftſtellers handelt:
ſeine Vorſchriften ſind guͤlden; aber wie
ſchwer? — das kann dieſer große Mann zum
Theil ſelbſt zeigen, der wohl nicht, ohngeach-
tet ſeiner originalen Schreibart, den Ton al-
ler derer getroffen, in deren Haͤnden ſeine

Schrift
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0068" n="60"/>
&#x201E;che Schrift&#x017F;teller brauchen will, und brau-<lb/>
&#x201E;chen muß, die aber der gemeine Mann nicht<lb/>
&#x201E;ver&#x017F;teht, wenn er &#x017F;ie auch zu ver&#x017F;tehen &#x017F;cheint.<lb/>
&#x201E;Er i&#x017F;t immer noch achtzig, hundert Jahre<lb/>
&#x201E;zuru&#x0364;ck; &#x017F;eine Bibel, &#x017F;ein Katechi&#x017F;mus, &#x017F;eine<lb/>
&#x201E;alte Bu&#x0364;cher, &#x017F;ein ta&#x0364;glicher Gebrauch enthal-<lb/>
&#x201E;ten den ganzen Umfang der Begriffe und<lb/>
&#x201E;Ausdru&#x0364;cke, die ihm bekannt und gela&#x0364;ufig<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind. Was davon abgehet, i&#x017F;t fu&#x0364;r ihn eine<lb/>
&#x201E;fremde Sprache, die er weder Ge&#x017F;chicke,<lb/>
&#x201E;noch Muße, noch Geduld hat, zu erlernen; &#x2013;<lb/>
&#x201E;die ihm auch nicht no&#x0364;thig i&#x017F;t.&#x201E; &#x2014; Nun<lb/>
gehe man nach die&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunkte die<lb/><hi rendition="#fr">Wochen&#x017F;chriften,</hi> die <hi rendition="#fr">Erbauungsbu&#x0364;cher,</hi><lb/>
die <hi rendition="#fr">Predigten</hi> durch; alles &#x017F;oll fu&#x0364;r den ge-<lb/>
meinen Mann &#x017F;eyn, und wenig i&#x017F;t fu&#x0364;r ihn.<lb/>
Hier empfehle ich jedem, der fu&#x0364;r den gemei-<lb/>
nen Mann &#x017F;chreiben will, den Artikel aus<lb/><hi rendition="#fr">Abbts Buche vom Verdien&#x017F;t</hi> zu le&#x017F;en, der<lb/>
vom Verdien&#x017F;t <hi rendition="#fr">des Schrift&#x017F;tellers</hi> handelt:<lb/>
&#x017F;eine Vor&#x017F;chriften &#x017F;ind gu&#x0364;lden; aber wie<lb/>
&#x017F;chwer? &#x2014; das kann die&#x017F;er große Mann zum<lb/>
Theil &#x017F;elb&#x017F;t zeigen, der wohl nicht, ohngeach-<lb/>
tet &#x017F;einer originalen Schreibart, den Ton al-<lb/>
ler derer getroffen, in deren Ha&#x0364;nden &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schrift</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] „che Schriftſteller brauchen will, und brau- „chen muß, die aber der gemeine Mann nicht „verſteht, wenn er ſie auch zu verſtehen ſcheint. „Er iſt immer noch achtzig, hundert Jahre „zuruͤck; ſeine Bibel, ſein Katechiſmus, ſeine „alte Buͤcher, ſein taͤglicher Gebrauch enthal- „ten den ganzen Umfang der Begriffe und „Ausdruͤcke, die ihm bekannt und gelaͤufig „ſind. Was davon abgehet, iſt fuͤr ihn eine „fremde Sprache, die er weder Geſchicke, „noch Muße, noch Geduld hat, zu erlernen; – „die ihm auch nicht noͤthig iſt.„ — Nun gehe man nach dieſem Geſichtspunkte die Wochenſchriften, die Erbauungsbuͤcher, die Predigten durch; alles ſoll fuͤr den ge- meinen Mann ſeyn, und wenig iſt fuͤr ihn. Hier empfehle ich jedem, der fuͤr den gemei- nen Mann ſchreiben will, den Artikel aus Abbts Buche vom Verdienſt zu leſen, der vom Verdienſt des Schriftſtellers handelt: ſeine Vorſchriften ſind guͤlden; aber wie ſchwer? — das kann dieſer große Mann zum Theil ſelbſt zeigen, der wohl nicht, ohngeach- tet ſeiner originalen Schreibart, den Ton al- ler derer getroffen, in deren Haͤnden ſeine Schrift

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/68
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/68>, abgerufen am 03.05.2024.