Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

sich über uns, sondern mit uns oder uns
nach denken soll.

Daher entspringt der dritte Schade, der
zu den bösen Krankheiten der Weltweisheit an
ihren heimlichen Orten gehört: nämlich ein
"Lawischer Aktienhandel in Worten, da man
"keine Jdee, als nach dem Werthe der Wor-
"te, hat." * Der Kunstrichter hält dies fast
für nothwendig, und nennt es ** "ästhetisch
"Gewäsch, wo immer Gedanke vom Ausdruck
"abgesondert, behandelt wird." Er sieht
aber doch dabei eine Schwierigkeit, die er
nicht ausdrücken kann. Vielleicht gelingt es
mir, sie kurz und gut darzustellen, und we-
nigstens die Sache auf beiden Seiten zu be-
trachten: wie fern es nöthig und nützlich;
und wie fern es unnöthig und schädlich werde,
daß der Gedanke am Ausdruck klebe --
eine delikate Materie der philosophischen
Sprachkunst! -- Mein Spazziergang ent-
fernt sich, aber endlich muß er doch in den
Weg einschlagen, den ich verlasse.



5. Al-
* Litt. Br. Th. 17. p. 115.
** p. 114.
Fragm. III S. D

ſich uͤber uns, ſondern mit uns oder uns
nach denken ſoll.

Daher entſpringt der dritte Schade, der
zu den boͤſen Krankheiten der Weltweisheit an
ihren heimlichen Orten gehoͤrt: naͤmlich ein
„Lawiſcher Aktienhandel in Worten, da man
„keine Jdee, als nach dem Werthe der Wor-
„te, hat.„ * Der Kunſtrichter haͤlt dies faſt
fuͤr nothwendig, und nennt es ** „aͤſthetiſch
„Gewaͤſch, wo immer Gedanke vom Ausdruck
„abgeſondert, behandelt wird.„ Er ſieht
aber doch dabei eine Schwierigkeit, die er
nicht ausdruͤcken kann. Vielleicht gelingt es
mir, ſie kurz und gut darzuſtellen, und we-
nigſtens die Sache auf beiden Seiten zu be-
trachten: wie fern es noͤthig und nuͤtzlich;
und wie fern es unnoͤthig und ſchaͤdlich werde,
daß der Gedanke am Ausdruck klebe
eine delikate Materie der philoſophiſchen
Sprachkunſt! — Mein Spazziergang ent-
fernt ſich, aber endlich muß er doch in den
Weg einſchlagen, den ich verlaſſe.



5. Al-
* Litt. Br. Th. 17. p. 115.
** p. 114.
Fragm. III S. D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0057" n="49"/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber uns, &#x017F;ondern mit uns oder uns<lb/>
nach denken &#x017F;oll.</p><lb/>
                <p>Daher ent&#x017F;pringt der dritte Schade, der<lb/>
zu den bo&#x0364;&#x017F;en Krankheiten der Weltweisheit an<lb/>
ihren heimlichen Orten geho&#x0364;rt: na&#x0364;mlich ein<lb/>
&#x201E;Lawi&#x017F;cher Aktienhandel in Worten, da man<lb/>
&#x201E;keine Jdee, als nach dem Werthe der Wor-<lb/>
&#x201E;te, hat.&#x201E; <note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 17. p. 115.</note> Der Kun&#x017F;trichter ha&#x0364;lt dies fa&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r nothwendig, und nennt es <note place="foot" n="**">p. 114.</note> &#x201E;a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;ch<lb/>
&#x201E;Gewa&#x0364;&#x017F;ch, wo immer Gedanke vom Ausdruck<lb/>
&#x201E;abge&#x017F;ondert, behandelt wird.&#x201E; Er &#x017F;ieht<lb/>
aber doch dabei eine Schwierigkeit, die er<lb/>
nicht ausdru&#x0364;cken kann. Vielleicht gelingt es<lb/>
mir, &#x017F;ie kurz und gut darzu&#x017F;tellen, und we-<lb/>
nig&#x017F;tens die Sache auf beiden Seiten zu be-<lb/>
trachten: wie fern es no&#x0364;thig und nu&#x0364;tzlich;<lb/>
und wie fern es unno&#x0364;thig und &#x017F;cha&#x0364;dlich werde,<lb/>
daß <hi rendition="#fr">der Gedanke am Ausdruck klebe</hi> &#x2014;<lb/>
eine delikate Materie der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
Sprachkun&#x017F;t! &#x2014; Mein Spazziergang ent-<lb/>
fernt &#x017F;ich, aber endlich muß er doch in den<lb/>
Weg ein&#x017F;chlagen, den ich verla&#x017F;&#x017F;e.</p>
              </div><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Fragm.</hi><hi rendition="#aq">III</hi><hi rendition="#fr">S.</hi> D</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">5. Al-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0057] ſich uͤber uns, ſondern mit uns oder uns nach denken ſoll. Daher entſpringt der dritte Schade, der zu den boͤſen Krankheiten der Weltweisheit an ihren heimlichen Orten gehoͤrt: naͤmlich ein „Lawiſcher Aktienhandel in Worten, da man „keine Jdee, als nach dem Werthe der Wor- „te, hat.„ * Der Kunſtrichter haͤlt dies faſt fuͤr nothwendig, und nennt es ** „aͤſthetiſch „Gewaͤſch, wo immer Gedanke vom Ausdruck „abgeſondert, behandelt wird.„ Er ſieht aber doch dabei eine Schwierigkeit, die er nicht ausdruͤcken kann. Vielleicht gelingt es mir, ſie kurz und gut darzuſtellen, und we- nigſtens die Sache auf beiden Seiten zu be- trachten: wie fern es noͤthig und nuͤtzlich; und wie fern es unnoͤthig und ſchaͤdlich werde, daß der Gedanke am Ausdruck klebe — eine delikate Materie der philoſophiſchen Sprachkunſt! — Mein Spazziergang ent- fernt ſich, aber endlich muß er doch in den Weg einſchlagen, den ich verlaſſe. 5. Al- * Litt. Br. Th. 17. p. 115. ** p. 114. Fragm. III S. D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/57
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/57>, abgerufen am 04.05.2024.